-           

 

Fragen zur Veranstaltung „Gerechtigkeit globalisieren! – Die Christenheit vor der Frage Gott oder Mammon?“ beim Ökumenischen Kirchentag und

Antworten von Prof. Dr. Elmar Altvater (E. A.) und Dr. Hans-Jürgen Fischbeck (H.J.F.)

 

Frage: Welche politischen Parteien vertreten den Ansatz der Regulierung der (internationalen ) Finanzmärkte?

Antwort: Die im Bundestag vertretenen Parteien haben meines Wissens (wohl mit Ausnahme der PDS) dies nicht zu einem vorrangigen Ziel ihrer Politik gemacht. Oskar Lafontaine forderte den Erhalt des Primats der Politik. Sein Rücktritt war ein Zeichen dafür, dass er auch in seiner Partei nicht mehr ausreichende Unterstützung dafür bekam. (H.J. F.)

Frage: Das Konzept der Tobin-Steuer ist sehr überzeugend. Warum geht es damit nicht voran? Wo ist der Ansatzpunkt, sie durchzusetzen (Machtfrage)?

Antwort: Die Einführung der Tobin-Steuer erfordert eine internationale Übereinkunft auf der Ebene der UNO, insbesondere eine Übereinkunft über deren Verwendung. Meines Wissens sind die USA strikt gegen eine solche Steuer. (H.J. F.)

Frage: Müssten wir nicht f ordern, deutsche Zahlungen an den IWF und die Weltbank einzustellen?

Antwort: Es geht nicht, deutsche Zahlungen an den IWF und die Weltbank einzustellen, da diese das Resultat internationaler Verpflichtungen sind und Deutschland nicht vertragsbrüchig werden kann. Im übrigen muss man auch bedenken, dass wir Institutionen zur Regulierung der Weltmärkte benötigen, die selbstverständlich auch von den Nationalstaaten finanziert werden müssen. Die große Frage allerdings lautet, ob der IWF und die Weltbank, so wie sie gegenwärtig strukturiert und organisiert sind, dazu geeignet sind und ob man sie nicht reformieren müsste. Letzteres würde ich bejahen. (E. A.)

Frage: Seit den 80er Jahren liegt der Realzins über den Wachstumsraten, was zur Ausbeutung führt. Hat die Situation davor, in der das Wachstum höher war als das Zinsniveau, zu einer Umverteilung zu Gunsten der Entwicklungsländer geführt?

(bitte die Folie noch einmal auflegen)

Antwort: In den 70er Jahren schießen nicht nur die Realzinsen über die realen Wachstumsraten hinaus, sondern es verändert sich auch der Charakter der Kapitalflüsse zwischen Norden und Süden. Während die Leistungen an die Entwicklungsländer bis Mitte der 70er Jahre vor allem aus offizieller Entwicklungshilfe bestanden, werden mit der Liberalisierung der Kapitalmärkte von den Entwicklungsländern verstärkt private Kredite aufgenommen, mit den bekannten Konsequenzen. Sie ziehen die privaten Kredite vor, weil sie erstens zunächst sehr günstig waren und weil zweitens auf diese Weise die Konditionen der staatlichen Entwicklungshilfe umgangen werden konnten. Eine Umverteilung zugunsten der Entwicklungsländer hat jedoch auch in dieser Phase nicht stattgefunden. (E. A.)

Frage: Weshalb spricht niemand von den Schulden der USA, und wer wird sie bezahlen?

Antwort: Die Schulden der USA sind ein Thema, und sie werden diskutiert. Allerdings sind die USA im Vergleich zu allen anderen Gläubigern dadurch privilegiert, dass sie ihre externen Schulden in eigener Dollar-Währung bedienen können. Infolge dessen ist die externe Verschuldung der USA wegen der Währung, in der sie denominiert ist, wie die interne Verschuldung. Alle anderen Länder müssen erst an Dollardevisen (durch einen Überschuss in der Leistungsbilanz) herankommen, um ihre externen Schulden bedienen zu können. Die USA hingegen können das Geld für den Schuldendienst quasi "drucken". Sollten die USA diese prinzipielle Möglichkeit freilich ausschöpfen, würden sie die gesamte Weltwirtschaft inflationieren, aber in diesem Zusammenhang auch den Wert des Dollar unterminieren. Dies kann bis zu einem gewissen Grade durchaus im Interesse der USA liegen, allerdings müssen sie sehr vorsichtig sein, damit der Dollar nicht in seinen Funktionen als Leit-, Reserve- und Handelswährung leidet. (E. A.)

Frage: Was halten sie von der Idee eines Weltzukunftsrates?

Antwort: Die Idee ist sicher gut. Die Frage ist aber, wie er berufen und legitimiert werden kann, ohne dass er von vorneherein schon die bestehenden Machtverhältnisse widerspiegelt und damit in den Verdacht einseitiger Interessenvertretung kommt. Noch wichtiger ist die Frage seiner Einflussmöglichkeiten, von Macht ganz zu schweigen. Auch in Deutschland wäre ein solcher Zukunftsrat zur Vertretung der Interessen künftiger Generationen am Erhalt der natürlichen Umwelt wünschenswert. Man könnte sich eine Vertretung entsprechender gemeinnütziger Nichtregierungsorganisationen vorstellen, aber auch bei uns sind wir von einer Realisierung solcher Ideen meilenweit entfernt. (H.J. F.)

Frage: Gibt es Konzepte zu einem internationalen Standard der Abschöpfung von Großgewinnen zur Finanzierung staatlicher Maßnahmen zur Armutsbekämpfung?

(Alle Ansätze zur Heranziehung der Reichen zur Finanzierung scheitern ja immer an der Drohung von Kapitalabwanderung)

Antwort: Im Rahmen der EU gelang jetzt ein wichtiger Schritt in diese Richtung durch den Beschluss zur Einführung einer einheitlichen Besteuerung von Zinsgewinnen in Höhe von 35%, nachdem auch Italien dem zugestimmt hat. Wirklich wirksam wäre aber erst eine weltweite vertragliche Vereinbarung der Staaten etwa im Rahmen der UNO oder der WTO. Davon sind wir weit entfernt. (H.J. F.)

Frage: Können wir die Globalisierung überhaupt anhalten?

Antwort: Mit dem „wir“ sind wohl die Bürgerinnen und Bürger der betroffenen Länder gemeint. Mehr oder weniger sind alle Länder betroffen. ATTAC ist eine internationale Bürgerbewegung, die sich nicht zum Ziel gesetzt hat, die Globalisierung „anzuhalten“, sondern im Sinne des Gemeinwohls zu gestalten. Interessant und bedeutungsvoll ist es, dass sich hier deutliche Konturen eines globalen Gemeinwohls abzeichnen im Sinne von Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung. Diese Bewegung ist nicht chancenlos, wie etwa Seattle gezeigt hat. Vieles hängt davon ab, ob es gelingt die bisherige positive Entwicklung zur Mobilisierung von besorgten Menschen weiterzutreiben. Dies kann gelingen, wenn sich die Zeichen der Krise für viele erkennbar und spürbar weiter verstärken. (H.J. F.)

Frage: Wer soll die Kontrolle übernehmen?

Antwort: Gemeint sind wohl Kapitalverkehrskontrollen und die Kontrolle der Einhaltung von globalen sozialen und ökologischen Mindeststandards. Wenn es denn Verträge über solche Mindeststandards gibt, müssten es UNO-Institutionen sein, die diese Kontrolle übernehmen. Eine Ahnung von den damit verbundenen Problemen vermitteln die Klimakonvention und das Kyoto-Protokoll sowie die Vereinbarungen über Rüstungskontroll-Regimes besonders bei der Biowaffen-Konvention. Fast immer ist eine restriktive, um nicht zu sagen obstruktive Haltung der USA zu verzeichnen. (H.J. F.)

Frage: Ist in den letzten Jahren oder Jahrzehnten nur die Ungleichheit gewachsen oder auch die Armut? Oder stagniert die Armut oder schwindet sogar?

Antwort: Alle einschlägigen Statistiken belegen die Grundtendenz: Überall werden die Reichen reicher und die Armen ärmer und zahlreicher. Das gilt auch makroökonomisch: Die reichen Länder – hier aber auch nur wieder die Großvermögen – werden reicher bei einem Zuwachs der (relativen) Armut auch in diesen Ländern, und die armen Länder mit ihrer wachsenden Bevölkerung werden ärmer. Die These von der Möglichkeit einer sog. nachholenden Entwicklung der „Entwicklungsländer“ ist nicht mehr haltbar. (H.J. F.)

Frage: Wie ist es mit arm und reich in Deutschland? Hat nicht die Globalisierung dieselben Auswirkungen bei uns?

Antwort: Grundsätzlich ja. Auch in Deutschland werden die Reichen reicher und die Armen ärmer und zahlreicher, wenngleich man hier relative Maßstäbe anlegen muss. Noch wird bitterste Armut bei uns durch die Sozialhilfe als solidarische Leistung der ganzen Gesellschaft aufgefangen, an der sich aber die großen Vermögen – übrigens durchaus legal – immer weniger beteiligt haben. Das ist vor allem eine Folge der Globalisierung. Der Sozialabbau, meist mit dem Wort „Reformen“ beschönigt, wird mit der „Agenda 2010“ eingeleitet und immer nur mit den unbezweifelbaren demographischen Verschiebungen begründet: Die Zahl der Alten nimmt zu und die Zahl der Versicherungszahler ab. Völlig unbeachtet bleibt, dass die Wertschöpfung dieser ständig produktiver werdenden Arbeit mindestens so zugenommen hat wie der Bedarf an sozialer Sicherung. Seit langem bleiben die Löhne und Gehälter hinter der Produktivitätssteigerung zurück und erhalten gerade mal den Inflationsausgleich und werden trotzdem allein mit den steigenden Kosten der sozialen Sicherung belastet. Es müssten also etwa durch eine Wertschöpfungsabgabe andere Quellen zur Finanzierung der sozialen Sicherung herangezogen werden. (H.J. F.)

Frage: Arbeitslosigkeit ist Ursache des Hungers. Als Lösung musste ich mir gestern anhören: Wir müssen landwirtschaftliche Subventionen abbauen und mehr Lebensmittel importieren. Aber: Wir sind satt! Dort ist Hunger! Müssen wir wirklich mehr verbrauchen, um Hunger zu bekämpfen?

Antwort: In der Tat ist es widersinnig, in den Ländern mit hungernder Bevölkerung auf den besten Böden „cash crops“ anzubauen, um sie in die satten und reichen Länder zu unfairen Preisen zu exportieren. Besonders krass wird dieser Widersinn, wenn es sich dabei um Viehfutter handelt, das für unseren steigenden Fleischkonsum „gebraucht“ wird. Einen solchen Widersinn bringt die ausschließlich monetäre Steuerung des Marktes hervor. Nun soll der Zugang der armen Länder zum Markt der reichen Länder erleichtert werden etwa durch Subventionsabbau. Das ist eine richtige Maßnahme in ansonsten völlig falschen Zusammenhängen. Zu allererst müsste die Selbstversorgung der armen Länder durch Landreformen und die Wiedergewinnung eines ausreichenden Subsistenzanteils wiederhergestellt werden. Dann müssten das Bildungs- und Gesundheitswesen in diesen Ländern für alle, auch die Ärmsten, zugänglich werden, was sicher nicht ohne eine nichtkommerzielle Entwicklungshilfe im Sinne einer Entschädigung dieser Länder für ihre Opfer, die sie als Folge der von „uns“ diktierten ungerechten Verhältnisse haben bringen müssen, geleistet werden kann. (H.J. F.)

Stellungnahme zum Vortrag von Prof. Altvater:

Danke für den mutigen Vortrag, aber Sie sagten, es würden viele Anstrengungen gemacht, um Gerechtigkeit in der Welt zu schaffen: Eben nicht, die Zinspolitik ist es doch, außerdem spielen der Verfall der Rohstoffpreise, Hungerlöhne, unmenschliche Arbeitsbedingungen, Schinderei von Kindern u.v.a.m. eine Rolle. Seit Kolonialzeiten beutet die „erste“ Welt die „dritte“ aus. Bis heute fließen Milliarden aus den arm gemachten Ländern der „dritten“ in die „erste“ Welt. Bei einer gerechten Weltwirtschaftsordnung müssten eben nicht täglich über 30000 Menschen, darunter viele Kinder, verhungern. Das ist die größte Katastrophe und Barbarei unserer Zeit! Wir haben für alle Menschen auf unserer Welt genug für ein menschenwürdiges Leben. 20% der Menschen in den Industrieländern verbrauchen 80% der Weltressourcen. Was bleibt für den „Rest“ der Menschen, nämlich 80%?? Die Industrieländer bestimmen im wesentlichen die Preise für Rohstoffe, die Bedingungen für Kredite und Zinsen. Müsste man nicht alle Betroffenen teilnehmen lassen auch im Sinne der Demokratie, die von den Industrieländern doch lauthals im Munde geführt wird? Auch brauchen die Menschen mehr Informationen!

 

Frage: Wenn der Zins eine so überragende Rolle bei der Einkommens- und Wohlstandsverteilung spielt, dann müsste doch der ganze Ehrgeiz der Wissenschaft darauf gerichtet sein, niedrigen oder Null-Zins bei guter Konjunktur zu erreichen. (In Japan haben wir ein Zinsniveau nahe bei Null, aber eine schlechte Konjunktur.)

Antwort: Der Zins ist nur eine, wenn auch sehr wichtige Form leistungsloser Einkommen, die in ihrer Gesamtheit zu der ungerechten Verteilung von Einkommen und Vermögen führen. Man denke an all die anderen Formen von Renditen. Dazu kommen Spekulationsgewinne aller Art bis hin zu Währungsspekulationen , die zu Lasten der Steuerzahler ganzer Länder führen.

Die vorherrschende Wirtschaftswissenschaft ist an der Gerechtigkeitsfrage nicht interessiert. Sie beschreibt nur das System, wie es ist und wie es idealer weise funktioniert oder funktionieren sollte. Was dringend gebraucht würde, wären theoretische Untersuchungen darüber, ob und wie ein marktwirtschaftliches System funktionieren könnte, bei dem Eigentum nur Ertrag eigener Arbeit sein dürfte und leistungslose Selbstbereicherung ausgeschlossen wäre. Dies ist in erster Linie eine Frage der Eigentums- und Geldordnung. Selbstverständlich schließt eine solche Eigentumsordnung Schenkung und Vererbung nicht aus, wie in der Diskussion gesagt wurde, denn das Verfügungsrecht gehört zum Begriff des Eigentums und damit auch das Recht zu Schenkung und Vererbung.

Wichtige Fragen dabei sind: Wie könnte Kapitalakkumulation und -allokation ermöglicht und gestaltet werden? Welche Rechtsformen wären dafür geeignet? (H.J. F.)

 

Frage: Kann man nicht an den Zins?

Antwort: Man könnte es, denn Gesetzgebung und Rechtsetzung – auch in Bezug auf die Eigentums- und Geldordnung – sind Sache des Parlaments und der politischen Mehrheiten. Jedoch fehlt eine vorbereitende breite öffentliche Diskussion darüber völlig. Die Eigentumsfrage ist vollständig tabuisiert, und jeder Versuch, sie zu thematisieren muss sofort mit Breitseiten unsachlicher Ideologievorwürfe rechnen.

Sehr wünschenswert wären so etwas wie Modellversuche einer neuen Geld- und Eigentumsordnung, die im „dritten Sektor“ der Ökonomie ohne eine so fundamentale Herausforderung des Geldadels durchaus möglich wären. (H.J. F.)

 

Frage: Sind nicht auch bei uns „informelle”, prekäre Beschäftigungen im Vormarsch? In den USA sind es meines Wissens schon etwa 30% der Jobs.

Antwort: „Prekäre Jobs“ können durchaus formell sein, d.h. auf Verträgen beruhen, wenngleich es oft ungerechte und ungleiche Verträge sind. Wenn sie statistisch erfassbar sind, werden es eher solche Jobs sein. Besonders prekär sind freilich erpresste Tätigkeiten im kriminellen Teil des informellen Sektors etwa im Bereich der Prostitution und des Drogenhandels.

Auch bei uns sind prekäre Jobs in der Tat im Vormarsch. Man denke an Billiglohnjobs und Scheinselbständigkeit. (H.J. F.)

 

Frage: Könnte man die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Kleinstunternehmen (Stichwort Familien - AG) als Beitrag zur Stärkung lokaler Ökonomie ansehen?

Antwort: Ja, wenn es Rahmenbedingungen sind, die den Bezug solcher Unternehmen zu ihrem Gemeinwesen wie etwa der Kommune oder der Region stärken und honorieren, so dass neue Formen von Solidarität gegen das pure Wettbewerbsdenken entstehen können. (H.J. F.)