Die Christenheit vor der Frage: Gott oder Mammon?

( Beitrag aus theol. Sicht von Dr. Hans-Jürgen Fischbeck )

 

1. Eine neue Situation ist entstanden

2. Die Ungerechtigkeit des Mammon

3. Mammonismus – ein neuer Totalitarismus

4.Der Mammonismus und die globale Krise

5. „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“

 

 

Meine Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,

es ist für mich eine hohe, aber traurige Ehre, hier anstelle von Dorothee Sölle zu sprechen. Viel besser wäre es gewesen, wenn sie hier stünde. So möchte auch ich ihrer gedenken in der tröstlichen Gewissheit, dass sie aufgehoben ist bei Gott, dessen rettende Botschaft in Christus sie so überzeugend und leidenschaftlich vertreten hat.

 

1. Eine neue Situation ist entstanden

Wir alle kennen das Wort Jesu:

            „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“

Es steht bei Matthäus gewichtig in der Bergpredigt (Mt. 6,24). Bei Lukas steht es sehr interessant im Zusammenhang mit dem „Gleichnis vom klugen Verwalter“ (Luk. 16, 1-13). Kurz gefaßt, geht es dabei um folgendes: Ein reicher Mann hat einen Vermögensverwalter eingesetzt. Es gehen Klagen bei ihm über den Verwalter ein, er verschleudere sein Vermögen. Daraufhin verlangt er Rechenschaft von ihm und kündigt seine Entlassung an. Was macht nun der Verwalter? Er tut genau das, was man ihm vorwirft: Er erläßt zwei Schuldnern seines Herrn einen beträchtlichen Teil ihrer Schulden, vielleicht, um sie vor dem Konkurs zu bewahren. Nun kommt die Überraschung: Der Herr tadelt ihn nicht, sondern lobt ihn sogar, er habe klug gehandelt. Die Quintessenz Jesu lautet: „Macht euch ebenso Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.“ Dies bedeutet: Macht euch Freunde, indem ihr mit dem „ungerechten Mammon“ gerecht umgeht, indem ihr beispielsweise Schulden erlaßt. Wer so handelt, dient Gott und nicht dem Mammon. Zugleich deutet Jesus an, daß es mit der Macht des ungerechten Mammons zu Ende gehen wird.

Die Frage: Gott oder Mammon? ist also gar nicht neu. Sie steht schon seit 2000 Jahren vor der Christenheit, und die Antwort des Gleichnisses lautet: Geht gerecht um mit dem ungerechten Mammon. Dennoch ist – wie ich zeigen möchte – am Ende dieser 2000 Jahre mit dem Einsetzen der neoliberalen Globalisierung eine neue Situation eingetreten, so daß die Christenheit heute neu vor diese alte Frage gestellt wird. Das Neue ist, daß es heute im Großen und Ganzen gar nicht mehr möglich ist, mit dem ungerechten Mammon gerecht umzugehen. Dies möchte ich im folgenden begründen und Schlußfolgerungen daraus ziehen.

 

2. Die Ungerechtigkeit des Mammon

Schon in der Bibel ist vielfältig von der Ungerechtigkeit des Mammon die Rede. Was ist damit gemeint? Eine Analyse des Eigentumsbegriffs zeigt, daß zwischen zwei Arten von Eigentum zu unterscheiden ist: gerechtes Eigentum 1 und ungerechtes Eigentum 2. Eigentum 1 ist ausschließlich Ertrag eigener Arbeit. Eigentum 2 hingegen ist selbst Quelle von weiterem Eigentum, eröffnet also die Möglichkeit leistungsloser Selbstbereicherung. So etwas nennen wir im allgemeinen Vermögen, aber beide Begriffe sind nicht deckungsgleich. Nicht jedes Vermögen dient leistungsloser Selbstbereicherung. Nicht jedes kleine Sparguthaben ist Eigentum 2. Ich berufe mich der Kürze halber auf den Volksmund, der den Unterschied zwischen Eigentum 1 und Eigentum 2 treffend zum Ausdruck bringt, wenn er sagt: „Für die erste Million muß man arbeiten, die übrigen kommen von allein.“ Die Ungerechtigkeit wird klar, wenn man sich fragt, woher sie denn kommen diese übrigen Millionen. Sie fallen ja nicht vom Himmel. Wir alle müssen sie zahlen, denn in allen Preisen, Mieten und Steuern sind 30-40% Zins- und Renditeanteile enthalten, in Mieten meist noch bedeutend mehr. In der Masse sind es die schlechter Verdienenden, die die Vermögenden alimentieren. Es findet eine ständige, systemhaft automatisierte und darum fast unmerkliche Umverteilung von unten nach oben statt, ja sie ist sogar der Grund dafür, daß es dieses gesellschaftliche Oben und Unten in dieser Form überhaupt gibt.

Wer so etwas sagt, setzt sich schnell dem Vorwurf des Sozialneids aus. Es geht aber gar nicht darum, den Flicks und Quandts und wie sie alle heißen, ihren Luxus nicht zu gönnen. Das eigentlich Wichtige ist, daß Vermögen Macht verleiht. Besonders gilt dies für große Geldvermögen, die bei weitem domonierende Form von Eigentum 2. Geld ist die Maßeinheit von Macht. Wer viel Geld hat, hat viel Macht. Diese Vermögens-Macht aber ist nicht demokratisch legitimiert und nicht rechenschaftspflichtig. Der Vermögende kann – das ist das Wesen von Eigentum – damit machen, was er will, und das ist der Kern der Ungerechtigkeit. In der Regel wird er bzw. seine Vermögensverwaltung – siehe Gleichnis – so handeln, daß das Vermögen wächst, und zwar möglichst schnell und sicher, damit aus Geld mehr Geld und aus Macht mehr Macht wird. Das ist der Auftrag der Vorstände von Aktiengesellschaften und des Managements von Vermögensfonds aller Art.

Ist also Geld als solches ungerecht und dem ungerechten Mammon gleichzusetzen? Nein, natürlich nicht. Geld ist eine wohl schon 5000 Jahre alte zivilisatorische Errungenschaft, ohne die Marktwirtschaft und Arbeitsteilung und alles, was das bedeutet, nicht möglich wäre. Wäre Geld wirklich nur das, was es sein soll, nämlich Wertäquivalent und Verrechnungseinheit für den indirekten Austausch von Waren und Dienstleistungen, es wäre nichts Ungerechtes daran. Ungerecht ist unsere überkommene Geld- und Eigentums-Ordnung, die die leistungslose Selbstbereicherung der Vermögenden ermöglicht: Wer mehr Geld hat, als er braucht, kann es demjenigen, der darauf angewiesen ist, gegen einen Aufpreis, Zins genannt, leihen. Wir wissen das alle und stoßen uns nicht daran, aber die Bibel tut es mit gutem Grund. Sie enthält ein Zinsverbot, das vom christlichen Abendland schon seit langem ignoriert wird. Der diffizile Fehler der Geldordnung liegt darin begründet, daß Geld eben nicht nur privates Eigentum, sondern auch öffentliches Gut ist, für das eigentlich eine Nutzungsgebühr an die Allgemeinheit zu entrichten wäre. Unsere Geldordnung aber tut so, als wäre es nur ersteres, und dann ist der Zins sogar ökonomisch notwendig, um den Umlauf des Geldes zu sichern. Wird der Zins nun dem Vermögen zugeschlagen, also kapitalisiert, fängt es an, durch Zinseszins selbsttätig exponentiell zu wachsen: Wer viel hat, dem wird viel gegeben. Genommen wird es, wie gesagt, durch Renditeanteile in Preisen, Mieten und Steuern von den vielen, die wenig haben. Alle einschlägigen Statistiken zeigen die Folgen: All überall – übrigens auch in China – werden die Reichen reicher und die Armen ärmer und zahlreicher. Das ist auch der tief liegende Grund für den ökologisch unverträglichen Wachstumszwang, unter dem unsere Wirtschaft steht: Sie muß wachsen, um zu funktionieren. Das exponentielle Wachstum der Großvermögen hat zu monströsen Differenzen geführt. Wie man unlängst lesen konnte, verfügen etwa 300 Milliardäre über mehr Geld als die Hälfte der Menschheit.

Die Selbstvermehrungsfähigkeit des Geldes in der bestehenden Geld- und Eigentumsordnung also ist es, die Geld als Eigentum 2 zum ungerechten Mammon macht. Dabei sind beide Ordnungen nirgendwo ausdrücklich schriftlich fixiert. Das Grundgesetz differenziert nicht zwischen gerechtem und ungerechtem Eigentum, sondern stellt in Art. 14 (1) lapidar fest: „Das Eigentum wird gewährleistet.“ Der an sich weitreichende Satz von der Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums in Art. 14 (2) ist vom Gesetzgeber unzureichend genutzt worden. Die Geldordnung, die entgegen dem biblischen Zinsverbot das Zinsnehmen ermöglicht, ist faktisch im Prinzip der Vertragsfreiheit des Vertragsrechts verborgen. Eigentums- und Geldordnung könnten so geändert werden, daß ungerechte Eigentumsbildung durch leistungslose Selbsbereicherung unterbunden würde. Seit langem gibt es kluge Vorschläge dazu, aber mächtige Interessen stehen dem entgegen, und die herrschende Wirtschaftswissenschaft ignoriert sie. Die Eigentumsfrage ist tabu.

 

3. Mammonismus – ein neuer Totalitarismus

Die neue Situation der neoliberalen Globalisierung hat viele Tendenzen der kapitalistischen Marktökonomie wesentlich verstärkt, die aber nicht neu sind. Neu ist, daß die Recht setzende Politik, deren Auftrag es ist, für Gerechtigkeit zu sorgen, ihren Primat gegenüber der global agierenden Wirtschaft verloren hat. Dafür gibt es im wesentlichen zwei Gründe. Der eine ist institutioneller, der andere finanzieller Art. Der institutionelle ist, daß nur ein demokratisch verfaßter Weltstaat die globalisierte Wirtschaft durch sozial-ökologische Mindeststandards regulieren könnte. Ein solcher ist aber weder praktisch möglich, noch politisch erreichbar, noch wünschenswert. So bleibt die Politik im wesentlichen national. Sie kann eine global operierende Wirtschaft unter dem Druck des internationalen Standortwettbewerbs auch auf nationaler Ebene nicht mehr wirkungsvoll regulieren.

Der andere, finanzielle Grund ist, daß die Finanzmacht der Großvermögen, die zu den größten Gläubigern des hoch verschuldeten Staates gehören, übermächtig geworden ist. Die Verschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden hat ein Ausmaß erreicht, daß der Schuldendienst nur noch wenig politischen Handlungsspielraum läßt. Zur Tilgung der alten Schulden müssen jährlich neue Schulden gemacht werden. Gleichzeitig gehen durch die wachsende Arbeitslosigkeit die Steuereinnahmen zurück, während die Soziallasten steigen und nicht mehr bezahlbar werden.

Unter diesen Bedingungen ist ein gerechter Umgang mit dem ungerechten Mammon im Sinne des klugen Verwalters von Luk. 16, wie es mit dem europäischen Sozialstaatsmodell versucht wurde, tendenziell nicht mehr möglich. Die sog. Reform des Sozialstaats etwa durch die Agenda 2010 ist in Wahrheit ein Rückbau.

Man kann diese Entwicklung zusammenfassen in dem Satz eines prominenten Wissenschaftlers: „Das Ende des Politischen ist absehbar. Politik löst sich auf in Technologie und Ökonomie. Der Sozialstaat, diese letzte Bastion politischer Ideologie, ist nicht mehr finanzierbar.“

Beide Tendenzen wirken zusammen: Der Verlust des Primats der Politik bedeutet ihre Unterordnung unter Forderungen der Wirtschaftslobby, und die Finanzmisere bedeutet den Rückzug des Staates aus der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens: Immer mehr seiner Aufgaben werden privatisiert, d.h. kommerzialisiert. Das ist so im Bereich der öffentlichen Sicherheit, wo private Sicherheitsdienste immer mehr Aufgaben der Polizei übernehmen. Das ist so im Bildungsbereich, im Gesundheitswesen und in der Kultur, vom Sport ganz zu schweigen. Die Kommerzialisierung  des gesellschaftlichen Lebens ist äußerst vielgestaltig. Sie dringt bis in familiäre Bereiche vor. Generell kann man von einer Vermarktung der Gesellschaft sprechen. Nahezu alles wird der Herrschaft des Geldes unterworfen. „Das Ende des Politischen“ – das ist das Ende der Demokratie als der maßgeblichen Gestalterin des gesellschaftlichen Lebens. Mehr und mehr übernimmt die „unsichtbare Hand“ des kapitalistischen Marktes die Regie. Es ist die Hand Mammons. Dieser Markt aber ist nicht demokratisch, wie gern behauptet wird, denn hier gilt nicht: „ein Mensch eine Stimme“, sondern: „ein Dollar oder eine Aktie eine Stimme“. Die wohl wichtigsten Schlagworte der Vermarktung heißen Flexibilisierung und Deregulierung. Flexibilisierung heißt: Nicht der Markt ist für den Menschen, sondern der Mensch für den Markt da. Deregulierung heißt, dem Markt auch das zu überlassen, was eigentlich Aufgabe der Politik ist. Dabei wird übersehen, daß der deregulierte Markt das heute Wichtigste nicht kann. Er kann gar nicht nachhaltig und zukunftsfähig sein, weil die Armen und die Natur kein Geld haben, um daran teilzunehmen, und die zukünftigen Generationen können dies sowieso nicht.

Begründet wird all dies durch die Ideologie des Neoliberalismus, deren Kernsätze lauten: Der Markt macht alles besser und billiger, man muß ihn nur deregulieren. Und: Die Gesetze des Marktes – gemeint sind die des kapitalistischen – gelten wie Naturgesetze, denen man sich also nur fügen könne. Je mehr sich die Politik der so verstandenen Macht des Geldes unterordnet und soziale Solidarität und das Eigenrecht der Natur unter dem Druck des Standortwettbewerbs preisgibt, umso totaler wird die systemhaft formalisierte und globalisierte „Herrschaft des Geldes“ und derer, die es besitzen, nur um sie zu steigern. Weil man in der Marktgesellschaft ohne Geld nicht mehr leben kann, kann sich dieser Herrschaft niemand mehr entziehen, auch Christen, Gemeinden und Kirchen nicht. Diese Herrschaft des Geldes und ihre Ideologie nennen wir Mammonismus. Sein gegen Gott gerichteter Totalitarismus kommt zum Ausdruck in der unübersehbaren Tendenz: Wo alles käuflich ist, ist nichts mehr heilig, wo nichts mehr heilig ist, ist alles käuflich.

 

4. Der Mammonismus und die globale Krise

Ein weiterer entscheidender Gesichtspunkt kommt noch hinzu. Wenn denn die Ungerechtigkeit des Mammons globale und systemhaft-totalitäre Züge annimmt, indem die „unsichtbare Hand“ des Marktes die Regie übernimmt, die – wie ich dargetan habe – prinzipiell nicht nachhaltig sein kann, dann muß dies globale krisenhafte Folgen haben. Schon 1986 stellte C.F. v. Weizsäcker, der große Promotor des Konziliaren Prozesses der Kirchen für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung in der Grundthese seiner Schrift „Die Zeit drängt“ fest:

„Die Menschheit befindet sich in einer Krise, deren katastrophaler Höhepunkt wahrscheinlich noch vor uns liegt.“

Ich kann auf die Ursachenanalyse der heraufziehenden Krise nicht weiter eingehen.. Ich will auch nicht behaupten, daß dieses ungeheuer komplexe Syndrom auf eine einzige Ursache zurückzuführen ist, deren Beseitigung allein schon das Problem lösen würde, aber ich möchte behaupten: Ohne eine Überwindung desMammonismus geht es nicht. Nun ist aber die Globalisierung nicht mehr rückgängig zu machen, und eine weltstaatliche Regulierung des mammonistischen Kapitalismus ist illusorisch. Daher ist jener „katastrophale Höhepunkt“ zu befürchten, vor dem C.F. v. Weizsäcker warnt. Alles spricht dafür, daß es mit dem ungerechten Mammon in der Tat zu Ende geht, wie es Jesus im Gleichnis vom klugen Verwalter sagt, nur eben auf eine vermutlich katastrophale Weise. Das also ist die Entscheidungssituation, der Kairos, in der die Christenheit neu und – wie es scheint – endgültig vor der Frage steht: Gott oder Mammon?

 

5. „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“

Lassen Sie mich das Fazit ruhig so vereinfacht und verkürzt ziehen: Wir können uns der total werdenden Herrschaft Mammons nicht mehr entziehen. Ein gerechter Umgang mit dem ungerechten Mammon im Sinne des Gleichnisses ist nicht mehr möglich. Der Mammonismus aber treibt die Menschheit in die globale Krise.

Dies ist die Situation des Bekennens. Die Frage: Gott oder Mammon? vor die Jesus uns stellt, ist zur Systemfrage geworden. Die Antwort kann nur noch eine prinzipielle

            Absage an Geist, Logik und Praxis des Mammonismus

sein. Aber eine Absage in Worten genügt nicht. Auch Diakonie und Charitas genügen nicht mehr. Viel schwerer ist diese Absage in der eigenen Lebenspraxis, weil sie neue, nicht-mammonistische Strukturen erfordert. Aber es ist möglich. Kirchen und Gemeinden haben sogar gute Voraussetzungen dazu. Dies möchte ich abschließend erläutern.

Dazu muß ich erst einen kleinen Exkurs in die Ökonomie machen. Man unterscheidet drei Sektoren der Ökonomie. Der erste ist der privatwirtschaftliche Sektor, der nunmehr mammonistische Züge annimmt und von dem, soweit es um Geld geht, auch die beiden anderen Sektoren abhängen. Der zweite Sektor ist der öffentliche, der durch Transfers aus dem ersten, also durch Steuern und Abgaben finanziert wird. Er ist hoch verschuldet und hat mit Schuldendienst und Steuerrückgang Anteil an der Verarmung vieler Steuerzahler. Der dritte Sektor ist der informelle, in dem es ohne Verträge zugeht. Er ist vielgestaltig. Der bei weitem größte Anteil ist die Hausfrauen-Ökonomie. Zum dritten Sektor gehören aber auch Schwarzarbeit sowie schwarze und graue Märkte und in wachsendem Maße kriminelle Wege zur Beschaffung der Mittel zum Lebensunterhalt. Es ist dies der Sektor, auf den die Verarmten, besonders in Ländern ohne soziales Netz, zunehmend angewiesen sind.

Die Ökonomie der Kirche beruht auf der Kirchensteuer und gehört damit dem zweiten, dem öffentlichen Sektor an. Sie hat damit Anteil an dessen Verarmung. Noch ist sie eine Kirche des schrumpfenden Mittelstandes und befangen in der Haltung des „reichen Jünglings“ (Mt. 19, 16-26), der die 10 Gebote zwar treulich erfüllt, aber vor derForderung Jesu, den Armen alles zu geben, was er hat, zurückschreckt. Biblisch gesehen ist es klar, daß die Kirche aus einer Mittelstandskirche mehr und mehr zu einer Kirche der Armen werden muß, denn ihre Botschaft gilt den Armen. Sie kann dies tun, indem sie sich beispielgebend beteiligt an einer

            sozialen Selbsthilfe-Ökonomie des dritten Sektors jenseits der Globalisierung,

um hier – zunächst keimhaft – strukturelle Alternativen zur mammonistischen Ökonomie des ersten Sektors zu entwickeln. Es geht um eine neue Marktwirtschaft – nennen wir sie demokratisch –, in der nur gerechte Eigentumsbildung als Ertrag eigener Arbeit möglich ist. Dies ist möglich, weil der sonst mit seiner Preiskonkurrenz alle Alternativen erdrückende erste Sektor mangels Kaufkraft am dritten Sektor kaum Interesse hat.

Es gibt schon viele kleine Ansätze für eine solche Gemeinwesen-Ökonomie der regionalen Grundversorgung in allen Teilen der Welt, leider bisher mehr außerhalb als innerhalb der Kirche. Sie reichen von Kreditgenossenschaften über einen bestimmten Typ sozialer Unternehmen bis hin zu Tausch- und Verrechnungsringen aller Art. Sie sind beschrieben in dem wichtigen Buch

            „Jenseits der Globalisierung – Handbuch für lokales Wirtschaften“

von Richard Douthwaite und Hans Diefenbacher. Ebenfalls möchte ich unsere Broschüre

„Eine andere Welt ist möglich – Begleitheft zum Berliner Aufruf Ökumenischer Basisgruppen“

empfehlen. Sie ist am Ausgang erhältlich.

Unsere Kirchen und Gemeinden haben gute Voraussetzungen, sich an der Entwicklung solcher regionaler Gemeinwesen-Ökonomien mit ihren eigenen Ressourcen – Immobilien, Liegenschaften und Infrastruktur – aktiv zu beteiligen. Ein gutes und lehrreiches Beispiel innerkirchlicher Ökonomie dieser Art sind die Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, die seit langem eine eigene interne Währung haben. Eine aktuelle Auslegung der Geschichte vom reichen Jüngling wäre es, wenn Kirchen und Gemeinden Arbeitslosen, die solche neuen Wege gehen wollen, entbehrliche Ressourcen als Hilfe zur Selbsthilfe nicht-kommerziell zur Verfügung stellen würden.

Das Rollenspiel, das Sie gesehen haben, möchte Sie anregen, sich für die Vermögenswerte Ihrer Gemeinde zu interessieren und zu fragen, ob ungerechtes Eigentum 2 vorliegt, ob versucht wird, mit dem ungerechten Mammon gerecht umzugehen, ob das Sachvermögen Ihrer Gemeinde nicht auch für eine soziale Ökonomie im dritten Sektor genutzt werden könnte. Hier und da geschieht so etwas ja schon, ohne daß man sich der prinzipiellen Bedeutung solchen Tuns bewußt wäre. Ich hoffe, Sie davon überzeugt zu haben, wie wichtig es ist, den Umgang mit dem Vermögen von Kirche und Gemeinde dem allgemeinen Desinteresse zu entreißen und zu fragen, wie damit evangeliumsgemäß umzugehen ist.

Angesichts der globalen Krise und der epochalen Herausforderung muten solche Vorschläge und Vorhaben kleinkariert und hilflos, um nicht zu sagen lächerlich an. Aber lassen wir uns nicht täuschen. Alles Neue fängt klein an. Denken wir nur an das Gleichnis vom Senfkorn. In kritischer Zeit können – wenn Gott es will – aus kleinen Samen große Bäume wachsen.

Die beiden großen biblischen Vorbilder der Befreiung – Auszug aus dem Sklavenhaus Ägypten und Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft – gewinnen heute brennende Aktualität: Auszug aus der Sklaverei Mammons und Rückkehr aus der „Konstantinischen Gefangenschaft“ der Kirche in ihrer Liaison mit weltlicher Macht und Herrlichkeit zurück zu den „Mühseligen und Beladenen“.