Ein Kirchweihjubiläum in Zeiten leer stehender Kirchen

 

Am 24. Juni 2006 feierte die katholische Gemeinde Bismark den 50. Jahrestag der Kirchweihe. Um 14.00 Uhr war ein Hochamt angesagt, das „Altbischof“ Leo mit einigen älteren Priestern aus der Altmark hielt. Ein Chor aus Wuppertal sang eine Messe. Anschließend gab es Kaffee und Kuchen in dem großen Saal einer Fabrik. Der Pfarrer hatte wohl den Bischof gebeten, nicht über die Vergangenheit zu reden, sondern den Glauben zu verkündigen. Der Bischof hat ihm auch den Gefallen getan. Beim Kaffee in dem Saal hielt der Pfarrer eine Ansprache, dann der Chorleiter aus Wuppertal, dann noch einmal Bischof Leo, dann der evangelische Pfarrer von Bismark. Danach meinte Bischof Leo, jetzt müsse ich doch auch mal ein Wort sagen. Als gehorsamer Priester habe ich wohl etwa folgendes gesagt:

 

Auf dem Programm des ersten Kirchweihtages war für mittags um 14.00 Uhr eine Dankandacht vorgesehen. Nur die Mitwirkenden wussten, dass statt einer Andacht ein Laienspiel (wie man damals sagte) aufgeführt werden sollte. Das begann sehr spannend: Die Kirche war bis hinten hin gefüllt, Bänke gab es noch nicht. Nur für Weihbischof Rintelen war vorn ein Sessel bereit. Während ich zu einer Begrüßungsrede anhob, entstand hinten eine starke Unruhe: 2 Männer in Uniform drängten sich nach vorne, durch die Leute hindurch, am Bischof vorbei, die Stufen hoch und verhafteten mich. Die Leute waren aufgeregt, der Bischof sprang auf, ich gab mich erschrocken. Während dessen wurde um den Altar herum ein Gerichtsszenarium aufgebaut: Ein Tisch mit Stuhl für den Ankläger rechts, ein Tisch mit Stuhl für den Verteidiger links, der Altartisch war der Platz für den Richter. Feierlich zog das Gericht ein, in Robe und Barrett.

Richter Pfarrer Johannes Kramer, Ankläger Vikar Helmut Langos, Verteidiger Theologe in spe Wolfgang Funk. In scharfem Ton verlas der Staatsanwalt die Anklage: kurz zusammen gefasst: Vergeudung von kostbarem Material und eine Unmenge Geld für einen sinnlosen Bau.  Im Spiel wurde in 5 Szenen der Prozess durchgespielt. Nachdem die Schuld nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, endete der Prozess mit dem Spruch: Das Urteil wird ausgesetzt zur Bewährung.

 

An dieses Spiel erinnerte ich also in meiner Ansprache und gab zu bedenken, ob nicht spätestens der 50. Jahrestag Anlass geben müsste, darüber nachzudenken, ob sich Pfarrer und Gemeinde denn bewährt haben. Mich bedrücke schon seit vielen Jahren die Sorge, dass die Anklage möglicherweise zu Recht geführt wurde: In Bismark gab es eine sehr schöne romanische Kirche, die für beide Gemeinden ausreichend Raum geboten hätte.

Die evangelische Kirche hatte sich nach anfänglichem Zögern bereit erklärt, den Flüchtlingen aus dem Osten ihre Kirchen zu öffnen (freilich unter mancherlei Bedingungen). Die Schreckensjahre des Krieges hatten doch längst in den Luftschutzkellern und Kasernen, den Lazaretten und Schützengräben die Menschen ohne Ansehen von Konfessionen und anderen Verschiedenheiten zusammen gebracht.

Sind wir mit unserem Wunsch nach einer eigenen Kirche nicht blind gewesen für die Zeichen der Zeit? Haben wir nicht mit dem Bau unserer Kirche die Spaltung der Kirche buchstäblich zementiert? In der Festschrift anlässlich der 1000-Jahrfeier in Nienburg habe ich angemerkt, vielleicht etwas zu salopp: „Der Kirchbau in Bismark – eine meiner Jugendsünden“.

Vehement widersprach der Bismarker Pfarrer und erinnerte an die Schwierigkeiten und Querelen, die ihm bei der Benutzung von evangelischen Kirchen in den 50er und 60er Jahren begegnet sind. ( Ich empfand dies als sehr peinlich, weil ja der evangelische Pfarrer als Gast anwesend war.) Kirchen baue man eben nicht für Ewigkeiten und ich könne das doch unmöglich Sünde nennen, dass ich den Flüchtlingen eine geistige und geistliche Heimat gegeben habe.

Auch Bischof Leo wehrte sich gegen meine Sicht der Dinge. Seine Sorge sei vielmehr, dass wir als Kirche die Hoffnung nicht aufgeben dürfen.

Schließlich sprang mir ein Mitglied des Wuppertaler Chores zur Seite. Er berichtete, dass in seiner Nachbardiözese Essen in diesem einen Jahr 92 Kirchen veräußert, stillgelegt oder abgerissen werden sollten. Das müsse uns doch zu denken geben.

Abschließend bat ich, 2 Dinge richtig stellen zu dürfen. Zum Stichwort „Hoffnung nicht aufgeben“, das der Bischof in die Debatte geworfen hatte: Ich sähe mich gründlich missverstanden, wenn meine Einlassungen als Hoffnungslosigkeit gedeutet würden. Wenn ich ohne Hoffnung wäre, würde ich mich doch nicht groß aufregen, dann wäre mir doch eher alles egal. Nur, ich setzte meine Hoffnung darauf, dass endlich das viel beschworene Wort „Wir wagen den Aufbruch“ wahr gemacht würde.

Zum Stichwort „Jugendsünde“: Damit klage ich mich nicht einer persönlichen Sünde an, denn dazu hätte ja der böse Wille gehört, den hatte ich nicht – ich hatte es gut gemeint. Aber ich bin überzeugt, dass mit diesem Bau und vielen anderen Bauten sichtbar geworden sei, spätestens jetzt, was man strukturelle Sünde nennt. Und das, bin ich der Meinung, müsste man auch an solch einen festlichen Anlass wie dem 50. Jahrestag der Weihe benennen oder wenigstens anfragen dürfen.                                                                                                                                                       

                                                                                                                                                             Willi Verstege