Die Synode des Bistums Meißen 1969 – 71 

ein kirchenpolitisches und spirituelles Ereignis

 

1.       Überblick

1.1.    Wie kam es dazu?
Von Grande und Straube ist im vorigen Jahr im Benno-Verlag ein Buch erschienen [1], das nach mehr als 30 Jahren zum ersten Mal die in dieser Meißener Diözesansynode erarbeiteten, breit diskutierten und zum Teil diözesanrechtlich in Kraft gesetzten Texte veröffentlicht. Die einzige bisherige Verbreitung fand über einen Sammelband aus Wachsmatrizenabzügen in sehr geringer Auflage statt. Nur Teile dieser Texte wurden veröffentlicht, wie z.B. von Richter in der Aufarbeitung von Trillings theologischem Nachlass[2] das Grundsatzdekret der Synode über „Ziele und Aufgaben der Erneuerung des Bistums Meißen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil“. Interessant ist dabei die Interessenübereinstimmung des DDR-Staats mit der Berliner Ordinarienkonferenz, die Verbreitung dieser Dokumente unter dem Kirchenvolk der Diözese, aber auch darüber hinaus in und über den deutschsprachigen Raum, zu verhindern.

Schwerpunkt meiner folgenden Überlegungen soll nicht die Interpretation der von der Synode verabschiedeten Texte sein, sondern es soll etwas zum Geist dieser Synode, dem festen Willen zum Umsetzen des konziliaren „Aggiornamento“ vor Ort gesagt werden.

Das Vaticanum II tagte von Okt 62 bis Dezember 65, der Meißener Bischof Spülbeck nahm mit großer Euphorie an den Sitzungen teil und hatte den dringenden Wunsch, das dort Erlebte mit dem Feuer des in Rom erfahrenen Geistes in seinem Bistum umzusetzen. Johannes XXIII. hatte ja bereits im Vorfeld der Synode – sicher um die Macht der Kurie zu beschneiden – ein „Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen“ eingesetzt, zu dessen Leiter er Augustin Kardinal Bea ernannte (einer dessen Berater war der Leipziger Studentenpfarrer Werner Becker). Vom Geist dieser Diktion war Spülbeck als vormaliger Oratorianer erfüllt.

Es gab in den 60er und 70er Jahren hier in der DDR ein beispielloses innerkirchliches und darüber in die Gesellschaft ausstrahlendes Engagement vor allem auch der Laien. Die Mauer war zu, es intensivierte sich ein Identifikationsprozess mit den „Dageblieben“, verbunden mit der Einrichtung einer mitbestimmten, von allen getragenen Kirche als Lebensraum, und damit das Ausfüllen des Miteinander mit demokratischen Spielregeln.
Bereits in der Zeit des Konzilsbeginns gab es einen Aufruf an alle in der Diözese, Einzel oder Gruppenvorschläge einzureichen, bis Sept. 66 lagen über 1600 Anträge vor.

1.2.    Der Status  der Synode
Diözesansynode und Bischofssynode sind lt. Konzil die einzigen kirchenrechtlich voll  beschlussfähigen Gremien. Im Gegensatz zu der späteren „DDR-Synode“ oder der Würzburger Synode entsprach die Meißener Diözesansynode als einzige diesem verbindlichen Modell.
Es bedurfte einer kirchenrechtlichen Dispens zur Abhaltung der Synode und zur Berufung von Laien als Synodale von Rom. Die erhielt Bischof Spülbeck mit verschiedenen Auflagen wie z.B.: den Priestern sei die absolute Mehrheit in Gremien und Versammlung zu gewährleisten!
Damit ergab sich nach Wahlen und Berufungen eine Zusammensetzung (repräs. Durchschnitt über die Arbeitssitzungen): Priester: 79, davon 5 Ordenspriester, Ordensfrauen: 8, Laien 64, davon 13 kirchliche Angestellte, Männer: 128, Frauen: 23
Interessant ist die breite Laienbeteiligung und deren Basis vor dem Hintergrund des Laienlebens im sozialistischen Alltag gegenüber einer oftmals isolierten Ghettokirche, in der die kirchlichen „Insider“ lebten.
In der Vorbereitungszeit der Synode entwickelte sich ein Bewusstsein der Laien als „Gleichberechtigte“ in Empfang und Weitergabe der Gnadengaben. Dies war eine neue Realität  und musste erst erlernt und eingeübt werden.
Das Zusammenkommen und –arbeiten an den Synodenvorlagen führte erstmals zum Austausch theologischer und pastoraler Standorte - auch der Kleriker untereinander – und damit zu Pufferzonen und vielfacher gegenseitiger Respektierung. Es erfolgte eine praktische Einübung von demokratischen Spielregeln (im Gegensatz zu anderen Diözesen wie Berlin oder Magdeburg, wo solche Konflikte schwelend ausgetragen wurden).

1.3.    Der riesige organisatorische Aufwand beim Zusammentragen der Anliegen und Vorbereitung der Beschlussvorlagen über Arbeitsgruppen und Kommissionensystem, ist in anderen Quellen nachzulesen (siehe [1] Grande/Straube). Viel wichtiger war hierbei die geistliche Vorarbeit, insbesondere die großartige Entwurfsvorlage für das Grundsatzdekret von Wolfgang Trilling, deren gekonnte Darbietung und Verteidigung als Arbeitsmaterial von Günter Hanisch und die begleitend römisch-kirchenrechtliche Untersetzung von Armin Bernhard.

1.4.    Zur kirchenrechtlichen Stellung der Synodalbeschlüsse nach Ihrer Inkraftsetzung (diözesan geltendes Kirchenrecht): Natürlich ist auch diese Synode ein den Bischof beratendes Gremium, aber Beschlüsse dieser Synode sind insofern weitgehender, als sie dem Bischof eine quasi ratifizierungsfähige Beschlussvorlage bieten. Da er an deren Entstehung mitgearbeitet hat, ist es unwahrscheinlich, dass er sich in diesem letzten Schritt noch gegen die Diözesanbeschlüsse stellt.
Das Schema: „Ziele und Aufgaben der Erneuerung des Bistums Meißen nach dem II. Vatikanischen Konzil“ (im folgenden Grundsatzdekret) und das Schema  „Die Ordnungen der Räte“ wurden am 26. März 1970 kurz vor dem Tode Spülbecks von ihm in Kraft gesetzt und sind bis heute geltendes Diözesanrecht.
Weitere 6 Dekrete, die noch in der Arbeitsfassung steckten, wurden an die folgende Pastoralsynode aller DDR-Bistümer überwiesen, praktisch vielfach inzwischen realisiert, aber als nachkonziliare Denk- und Arbeitsansätze im weiteren Verlauf zur Makulatur degradiert.

2.       Aufbruchstimmung – vom Geist der Vorbereitungszeit und der Synodensitzungen

2.1.    Bischof Spülbeck als Gestalter und Träger
Oftmals beschwor er die Erinnerung an die persönliche Erfasstheit vom Wehen des Geistes in der Konzilsaula und berichtete auch von seiner für alle überraschenden Aufbruchsstimmung und eigenen Beteiligung. Bischof Spülbeck hat ja als promovierter Naturwissenschaftler selbst auf dem Konzil zur „Rehabilitation“ und Neubewertung des Weltbildes von Teilhard de Chardin beigetragen.
Er wollte, wie er immer sagte „Meine“ Synode, war ständig durch Zwischenberichte und Fragestellungen beteiligt und war erstaunlich diszipliniert, sich auf den Sitzungen vieles anzuhören, von dem manches  ihm auch nicht passte. Davon zeugen herrliche Anekdoten aus der Synodalen Pausenkapelle der Hofkirche. Aber er hatte ein großes Vertrauen in die von ihm eingesetzten Gremien.

2.2.    Miteinander im Klerus und zwischen Klerus und Laien – Respektierung der Sachkompetenz (Vergleich zu Magdeburg und Berlin)
Die Begegnung von Priestern und Laien bereits in den vorbereitenden Gruppen war auf dieser Ebene neu und einübungsbedürftig. Das betraf auch die Respektierung der Sachkenntnis und -erfahrung. Viele Priester und kirchliche Angestellte hatten den Druck des alltägliche Sozialismus (Parteilehrjahr, Solibeiträge, Brigade-Wettbewerb, Berichterstattungen, Teilnahme an Demonstrationen und Transparente schleppen und alles mögliche) nie erkannt und meinten, „Schäfchen trösten durch heile Welt“ in Pfarrhaus und Kirche sei ihre Aufgabe. Viel spannungsreicher war aber das Laien- Ausloten der Felder „Anpassung/Verweigerung“, „Anbiederung/Einbringen zur positiven Gestaltung“, „innerkirchliche Diskussion und Aufarbeitung/Verdrängung und Trost“ individuell und/oder in Gruppen.
Die Standorte waren unterschiedlich, das Bild vom „Laien auf Augenhöhe“ auf einer Synode war vor allem bei älteren Priestern ungewohnt, genau so wie das überzogene  „demokratisch legitimierte Sendungsbewusstsein“ bei manchen Laien.. Oft half hier der Bischof durch seinen „Befriedungs“-Beauftragten Luckhaupt inoffiziell friedensstiftend. (z.B. wenn die Synode beschloß, allen kirchlichen Würdenträgern im Sinne einer brüderlichen Kirche zu empfehlen, auf nicht dienstbedingte kirchliche und akademische Titel zu verzichten oder wenn – wie oft in den Disputen -  der mögliche Konfliktfall Pfarrer – Gemeinde durchgespielt wurde)

2.3.   Theologische Fundierung  - das Schema: Ziel und Aufgaben der Erneuerung des Bistums Meißen – Visionäre Gedanken und Umsetzung  war bereits in der Vorlage weitgehend konsensfähige Vorlage Rolle W.
Diese Vorlage für das spätere Grundsatzdekret ging im Geiste des Konzils von der ecclesia semper reformanda, dem „Volk Gottes unterwegs“, der Betonung von Kollegialität als wesentlicher Bestandteil von Hierarchie, von der gleichverteilten Fülle der Gnadengaben, und der Verpflichtung, sie einzusetzen, von der Freiheit des Gewissens gegenüber einem festgeschriebenen Normenkatalog aus.
Davon sind nicht nur die Aussagen betroffen, sondern auch der Text dieses Grundsatzdekrets.

 

2.4.    Das pastorale und missionarische Kirchenbild hinter den Konzilsbeschlüssen

2.4.1.      Ökumene - Bevorstehende Wiedervereinigung der Kirchen?
Offen wird im Grundsatzdekret die Spaltung der christlichen Kirchen angeprangert [3].
„In unserem Land kam die Glaubensspaltung des 16. Jahrhunderts zum Ausbruch. Katholische und evangelische Christen erkennen heute in dieser Spaltung Untreue gegen den Willen Christi, ein Ärgernis für die Welt und einen Schaden für die Verkündigung des Evangeliums. Wir wollen diese Last der Vergangenheit im Geist der Umkehr tragen. Gott hat uns heute Wege gezeigt, die zur Einigung der Christen führen können. Wir erkennen das Wirken des heiligen Geistes, die Gnadengaben und geistlichen Werte in den anderen christlichen Kirchen, kirchlichen Gemeinschaften und ihren Gliedern. Wir betrachten sie ´als Brüder´ in ´Verehrung und Liebe´.“
Diese Aussage war von tiefster Überzeugung durchdrungen.. Wir waren daher in realistischer Hoffnung, dass es möglich sei, zu unseren Lebens- und Erfahrungszeiten, beginnend in dem kleinen Land, von dem die reformatorische Kirchenspaltung ausging, diese Wiedervereinigung zu erlangen. Wir waren insbesondere und explizit der Meinung, dies sei wahrscheinlicher als eine mögliche Wiedervereinigung Deutschlands noch zu unseren Lebenszeiten.
Die  Verteilung der Gnadengaben hieß  – weg vom standbedingten Gegenüber einer Priesterkirche mit Laiengehilfen und hin zu einem gemeinsam verantworteten Überlegen von Mission und Pastoral.

2.4.2.      Volk Gottes unterwegs – die „menschliche“ Kirche auf ihrem Weg durch die Zeit
Kirche wird als gemeinsames Unterwegs mit einer menschlichen, stets reformbedürftigen und sich auch irren-könnenden Kirche verstanden, was sie auch historisch zum Bekenntnis von Irrtümern frei macht. Hier wird wohl am deutlichsten, wie sehr dieses Dekret allen späteren Praktiken voraus war.
Aggiornamento birgt Risiko, dies soll aber im Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes durchaus aufgenommen werden. Das Bild vom Wuchern mit dem Talent spielte in den Diskussionen eine große Rolle.Demokratie und Kollegialität als Arbeits- und Lebensgrundlage in der Kirche und als Kontext zu „Die Ordnungen der Räte“
Aus diesem gemeinsam verantworteten Tun von Priestern und Laien sollten die Positionierungen gefunden werden. Daher ist die Lösung des möglichen Konflikts nicht der Hauptpunkt dieser dann folgenden Räteordnung, obwohl er immer wieder heiß diskutiert wurde:

2.4.3.      Identitätssuche und -findung mit der politisch-gesellschaftlichen Situation der Christen des Bistums nach 1961
Immer ging es dabei pastoral um das Verhältnis von Bewahren der Gläubigen vor Schwierigkeiten wegen des Glaubensbekenntnisses einerseits und um das missionarisch aufgetragene Bekennen und Weitersagen andererseits, eine Gratwanderung, die ja bereits seit der Nazizeit eingeübt war und praktiziert wurde.
Eine Vertiefung des Themas „Kirche und Welt“ auf der Synode wurde ausgeklammert und an eine Arbeitsgruppe für ein gesondertes Dekret überwiesen, es sollte die Aufarbeitung von „Gaudium et spes“ für unsere Situation beinhalten. Sicher spielen bei dieser Ausklammerung auch die heute bekannten Divergenzen in der Berliner Ordinarienkonferenz eine Rolle. Daher wurden von der Synode nur Grundsatzpunkte angesprochen:
- Diasporakirche – Erscheinungsbild, Demut, Bescheidenheit, Solidarität mit den ev. Christen
- Titel und Auftreten kirchlicher Würdenträger
- Gestaltung der Kirchenräume und Form des Gottesdienstes
- Besonderer Dienst an Schwachen und Ausgegrenzten
- Teilnahme an allen gesellschaftlichen Bestrebungen für eine bessere Welt

2.4.4.      Erwartungen der Gemeinden an die Synode
Hauptsächlich erwarteten sie Orientierung für das Leben im sozialistischen Alltag – Zurüstung durch Glauben, Eucharistie und Gemeinschaft als Reflexionsmöglichkeiten eigenen Verhaltens und Versagens
Natürlich war auch das Gestalten des innerkirchlichen Lebensraumes von Bedeutung, Vielfalt des Anbietens bedeutet  Risiko und Gewissensorientierung, Beratungsbedarf und Aussprache.
Es gab eine starke Erwartungshaltung der Gläubigen der Diözese an die Synode, insbesondere nach dem Tod Spülbecks 1970. Nicht unbedingt herrschte im Bistum Einverständnis mit der schnellen Beendigung und Fortführung in der „DDR-Synode“ (damaliger Sprachgebrauch).

2.4.5.      Das stufenlose Rezipieren (Bischof, Diözesanklerus und Laien gemeinsam) unter Spülbeck.
Ganz erstaunlich ist die schnelle Umsetzung der ersten beiden Dekrete noch 1970, die vom Kirchenvolk sehr begrüßt wurden, genau so wie die Vorwegnahme neuer liturgischer Regelungen vorm Verabschieden eines Dekrets. Diese liturgische Erneuerung ist wohl das einzige, was mit erheblichem Aufwand schnell in den katholischen Bistümern in der DDR durchgeführt wurde.

3.       Blicke über den Zaun

3.1.    Gutachten zu den Synodaldekreten
Die ungewöhnlich konziliar engagierte Einstellung und Äußerung der Synode zu diesem „Aggiornamento“ brachte viele Kritiker vor allem außerhalb der Diözese hervor. Daher ungewöhnlich viele Gutachten. Die Berliner Ordinarienkonferenz erhob 1970 folgende Bedenken
- einseitiges Kirchenbild
- präjudizierte pastorale Praxis belastet DDR-Synode stark
- kirchenrechtliche und allgemeinrechtliche Aussagen belasten Arbeit der Kirche in der DDR aufs schwerste.
Daher wurden neben dem kanonische Gutachten von Benno Löbmann, der das Rätesystem im Kontext zu den beiden möglichen Kirchenbildern (rechtliches und theologisches) beschreibt und von da aus die Texte und Beschlüsse positiv beurteilt, weitere in Auftrag gegeben.
Bischof Schaffran beauftragte nach dem Tod von Bischof Spülbeck weitere drei Gutachter, bekannte Professoren aus dem deutschen Sprachraum, die alle aus dem deutschen Klerus des ehemaligen Erzbistums Breslau kamen:
Georg May, Mainz, Kirchenrechtler,
Leo Scheffzyk, München, Dogmatiker,
Rudolf Schnackenburg, Würzburg, NT und Exegese,
das Leipziger Oratorium wandte sich wegen weiteren Gutachten an
Walter Kasper, Tübingen, Dogmatik,
Karl Rahner, Münster, Dogmatik
und Wolfgang Trilling erbat sich speziell ein Gutachten von Joseph Ratzinger, Regensburg, Dogmatik,
Außer den Gutachten von May und Scheffzyk  waren alle anderen sehr positiv, wenn auch andere Akzente setzend gegenüber manchen Formulierungen.
Der Kuriosität halber aber zwei Kurzzitate von Georg May[4]:
16. Ich werde den Verdacht nicht los, dass unter dem – nirgends definierten – Begriff der Brüderlichkeit die hierarchische Struktur der Kirche einigermaßen eingeebnet werden soll, dass also aus einer Gesinnung ein Verfassungsprinzip gemacht wird. Wenn es z.B. heißt, die Gottesdienste sollen von der Brüderlichkeit geprägt sein (.....), dann kann sich hinter dieser Forderung ein falsches (sc. das protestantische) Bild von dem Verhältnis Priester und Gemeinde verbergen, bzw. daraus abgeleitet werden. Der protestantische Bazillus ist heut allgegenwärtig.
und an anderer Stelle
18. Die Ausdrücke „Partnerschaft“ und „öffentliche Meinung“ (......) bleiben in all der gefährlichen Unbestimmtheit stehen, die der Ansatz für Schwätzer, Gschaftlhuber und Diversanten ist.  Daß aus „Einsicht und Urteil aller Glieder der Kirche eine öffentliche Meinung wachsen“ könne, die „dem Geist Christi Raum“ geben könne (...), ist eine der ärgsten Utopien dieses an krassen Verzeichnungen der Lage gewiß nicht armen Dokumentes. Was der Herr Jedermann denkt und will, das wissen wir Seelsorger sehr genau. Wir sollten ihn lehren, was er denken und wollen soll.

Insgesamt gingen die Gutachten mit „6plus“ und „2minus“ aus, im wesentlichen freudig begrüßt  und wohlwollend gegenüber dem Versuch, den Geist des Konzils in einer Diözese umzusetzen. Ratzinger[5] schrieb in seinem Gutachten an W. Trilling:
Ich muss gestehen, dass es mir schwer fällt, die Angriffe auf Dekret I zu begreifen. Ich halte diesen Text für eine sehr sorgfältige, biblisch sauber fundierte und dogmatisch umsichtige Anwendung der konziliaren Sicht der Kirche auf die konkrete Situation eines Bistums.

3.2.    Kardinal Bengsch und seine Stellung zur Synode Meißens 
Interessant ist die Stellung der Person Kardinal Bengschs gegenüber dieser Synode, die er in seiner lockeren Art von Beratungsleitungen als herätisch (!!) bezeichnete und die sich nur aus seinem persönlichen theologischen Bild vom Kirche-Welt-Verhältnis (Brief an Paul VI. zu „Gaudium et spes“ im Nov. 65) [6] erklären lässt: Neben seiner nicht unbegründeten Angst gegenüber missbräuchlich ideologischer Interpretation in der DDR ließ sein generelles Kirche-Welt-Verständnis das offensive Zugehen auf „dieWelt“, wie sie in „Gaudium et spes“ zum Ausdruck kommt, nicht zu:
Sogar vielen Christen scheinen die unveränderlichen und unerschütterlichen Normen, die heiligen und absoluten Werte verdunkelt zu sein. Unser Schema aber könnte durch seine Tendenz, progressiv und gleichsam dieser Welt und ihrer Entwicklung gefällig zu sein, größere Verwirrung verursachen.
Er bat deswegen Paul VI., das Schema nicht „Pastoralkonstitution“ zu nennen, sondern „Konzilsbrief oder Erklärung oder ähnlich“ und verweigerte seine Unterschrift unter „Gaudium et spes“

3.3.    Spülbecks Tod, das „Abwürgen“ der Meißener Synode und ihre „Überführung“ in die DDR-Pastoralsynode.
Mitten in den Ablauf der Meißener Synode trat der Tod von Bischof Spülbeck 1970. Zu diesem Zeitpunkt lagen die beiden in Kraft gesetzten Dekrete mit dem Löbmannschen Gutachten vor und weitere 4 Dekrete waren abstimmungsreif für die nächste Arbeitssitzung vorbereitet.
Die Berufung Schaffrans zum Bischof von Meißen war nicht nur der Notwendigkeit geschuldet, gegenüber Polens Bischöfen einen personalen Affront zu beseitigen, sondern auch, die Berliner Ordinarienkonferenz-Forderung, „Abwürgen dieser Synode“ durchzusetzen (und übrigens auch die umgehende Suspendierung  von Karl Herbst, die von Spülbeck immer verhindert worden war) durchzuführen.

3.4.    Der schwierige Weg von Bischof Schaffran
Neben der sofortigen Erklärung der „Sistierung der Meißener Synode“ (der als Bautzener Domdekan gewählte Kapitelsvikar Bulang 22. 6. 70) – die Synodenarbeit habe zu ruhen – führte die Übernahme des Bistums durch Gerhard Schaffran zu einem schleichenden Ende der Synode 1971 mit der Zusicherung, die erarbeiteten Dekretvorlagen in die angekündigte DDR-Synode als Arbeitsmaterial einzubringen. Kardinal Bengsch hatte sich dazu auch die Zustimmung des Vatikans erwirkt.
Die Nachfrage des „Gottesvolks“ – also der von Schaffran besuchten Gemeinden nach seiner Ernennung - wie es mit der Synode nun weitergehe, war so enthusiastisch, dass Schaffran die Synode mit Arbeitssitzungen zunächst weiterführte. Daraus entstanden die 1971-er Arbeitssitzungen, die – wie viele Teilnehmer sagten – jedoch bereits von „Modergeruch“ überzogen waren.
Im Nachhinein lässt sich heute feststellen, dass die Ergebnisse dieser Pastoralsynode nicht nur keinen Beschlusscharakter hatten, sondern nach Beendigung dieser Synode auch durch keinerlei Gremium weitergeführt wurden.

3.5.    Die Nachhaltigkeit der Meißener Synode:
Trotz ihres quasi „Abbruchs“ hatte die Meißener Synode eine maßgebliche Wirkung auf das Leben der Gläubigen katholischen Christen in ihrem säkularen Alltag, Sie hat das Bewusstsein vieler Christen in der Diözese nachhaltig verändert und Kirche und Glauben zu einer bewussten, individuell verantworteten selbstgestaltenden Haltung geführt. Nach wie vor galt es, die beiden Bibelworte „Fürchte Dich nicht, Du kleine Herde, denn ich bin bei euch“ einerseits und „Steh auf und rede, sei es gelegen oder ungelegen“ [7] miteinander in Einklang zu bringen.
Durch das Miterleben der Synode wurde dem Einzelnen Kirche als Rückgrat und Gemeinschaftserlebnis bewusster und nicht wie inzwischen üblich, „Macht doch euern Mist alleine“, wenn nach persönlichem Eindruck Entscheidungen weltfremd oder auch nur unpassend sind.
Der „Bonum commune“ –Gedanke war geweckt und wesentlicher Teil christlicher DDR-Präsenz. In der Tat zieht sich der Aufruf zur Teilhabe des Christen an der Gestaltung der Gesellschaft durch die Synodalen Dekrete und Arbeitsdokumente. Dabei ist in diese Intension der Aufruf zur Übernahme gesellschaftlicher Gestaltungs-Verantwortung nicht durch den Ellbogen als persönlichen Positionierungshebel bestimmt. Dies setzt sich fort bis hin zu den „Zeugnissen der Betroffenheit“ in der ökumenischen Versammlung der späten achziger Jahre und bis hinein in die Arbeit an den runden Tischen zur Wendezeit.
Der Leitgedanke der Kollegialität war die Basis im Arbeitsfeld des Dekrets II, des „Rätesystems“. Die Synode war eine Schule der Demokratie. Die Aufgabe, Wege der Pastoral und Liturgie, Mission und Vertiefung zu finden, für sich selbst zu formulieren und den eigenen Standpunkt miteinander auszutauschen, in Rededuellen auch verlieren zu können und dabei den anderen zu achten, ist ein Lernprozess. Dabei war die Kollegialität in der Begegnung der Synodalen untereinander und mit dem Bischof, der ja in den Sitzungen immer dabei war, sehr hilfreich für das eigene Aufgaben- und Rollenbewusstsein.

4.       Relativierung der „Vergessenen“ Synode nach der Wiedervereinigung in Geist und praktischen Konsequenzen

Bereits die einundsiebziger Arbeitssitzungen unter Bischof Schaffran zeigten, dass die Meißener Synode kosmetisch gut sichtbar beerdigt werden sollte. Die Durchführungskommission hatte aufgrund der Gutachten und der Meinung von Bischof Spülbeck in den Dekreten einiges für eine spätere – durch Erfahrungen angereicherte - Nachbesserung offen gelassen. Diese Nachbesserungen sind auch erfolgt, allerdings nicht im Geiste und Buchstaben dieser Synode.
Bereits das Zitieren der Meißener Synode auf der DDR-Synode war ideologischer Frevel und die gesamte Art von Leitung und Durchführung war dem vorher demonstrierten Kollegialitäts- und Solidaritätsgedanken fremd. Es gab viele unmittelbare bischöfliche Eingriffe in Ablauf und Themengestaltung. Bereits das Grundsatzpapier ging wieder im Leitgedanken von der zu beschützenden Herde und nicht vom Verkündigungsauftrag unter allen sich bietenden praktischen Umständen aus. Zusätzlich musste in vielen Bereichen auf die westdeutsche Kirche Rücksicht genommen werden. Wegen dieser Rücksicht waren der Friedensgedanke und die Legitimität der Verweigerung von Waffengebrauch immer Stiefkinder in der pastoralen Praxis.

Wenn heute beim Feiern von Jubiläen bei einer nachkonziliaren Synode immer zuerst an die Würzburger Synode gedacht wird, die ja von ihrer kirchenrechtlichen Verbindlichkeit her eigentlich keine war, dann ist zu spüren, dass der Umgang mit dieser Meißener Synode, eine der ersten überhaupt nach dem Konzil, eher peinlich zu sein scheint.

Andererseits hat die Ablehnung von „Gaudium et spes“ durch Alfred Bengsch, bedingt durch sein sehr hierarchisches, vorkonziliar geprägtes Kirchenbild, dazu geführt, dass dieses Konzilsdokument von der katholischen Kirche in der DDR nie rezipiert worden ist Damit fällt die grundsätzliche Weisung der Sendung des Christen in die Gesellschaft bis heute weitgehend aus und verkommt in Versuchen einer kirchlichen Reglementierung christlicher politischer Verantwortungsträger für kirchliche Partialbelange. Ein Beispiel dieser mangelnden Umsetzungsfähigkeit von Forderungen in die Welt ist der Werdegang des von den katholischen und evangelischen Bischöfen gemeinsam verabschiedeten Memorandums zur wirtschaftliche und sozialen Lage in Deutschland und das schnelle Vergessen, das diesem Appell beschert war und ist.

Summarisch ist zu sagen, dass im Rückblick auf das nachkonziliare Ereignis der Synode Meißen die Tätigkeit von Gruppierungen wie „Initiative Kirche von unten“, „Wir sind Kirche“ und anderen danach und bis in diese aktuelle Zeit hinein die einzigen Aktivitäten sind (mal abgesehen von reinen Predigtzitaten), die das Konzil und seine geistige Fortführung in unserer Kirche ernst nehmen.

Die Meißener Synode hat aber auch zu Schaffung eines neuen innerkirchlichen „Miteinander-Bewusstseins“ beigetragen und ist aus der Pastoral des Bistums praktisch nicht mehr wegzudenken.

Ich bin - wie ihr anderen auch – davon überzeugt, dass der Geist Gottes in der Kirche wirkt und sie durch alle Zeiten bestehen lässt, aber - muss man´s ihm denn unbedingt so schwer machen?

 

Fritz Rebbelmund



[1] Dieter Grande, Peter-Paul Straube:Die Synode des Bistums Meißen 1969 – 1971, Benno-Verlag Leipzig 2005

[2] Wolfgang Trilling: „Trauer gemäß Gott“ – Leiden in und an der Kirche in der DDR, Hsg.  Klemens Richter, Münsteraner Theol. Schriften, Oros-Verlag Altenberge 1994, S. 147 ff.

[3] siehe [1] Grande/Straube S. 77

[4] siehe [1] Grande/Straube S. 138 f

[5] siehe [1] Grande/Straube S.151

[6] Martin Höllen: Loyale Distanz – Katholizismus und Kirchenpolitik in SPZ und DDR – Band 2, 1997 Berlin, Eigenverlag, S. 448

[7] siehe dazu in [2]: F.Rebbelmund: Geleitwort,  S. 11 ff.