Die Rolle der Kirchen bei der Rückkehr der Religionen.

 

Sollen die Kirchen gemeinsam mit den anderen Weltreligionen nur das breite Aufnahmebecken für eine neue und wohl immer wiederkehrende Welle religiösen Erwachens sein? Oder sollten bewährte religiöse Institutionen und zumal die durch  ihren Gründer mit religionskritischen Elementen ausgestatteten Kirchen nicht mehr sein können und wollen als das  leerstehende Becken für Hochwasser, das sich ebenso schnell wieder entleert wie die Flut der Erwartung hereingebrochen ist?

Und wie könnten sie mehr sein? Vor allem durch das selbstverständliche und immer zu wiederholende Bekenntnis: Ich bin nicht Christus, ich bin nicht die Erfüllung sondern nur ein Hinweis auf die Erfüllung. Schon diese  Bedingung zu erfüllen, ist schwer und leicht zugleich.

Schwer, weil in der langen Tradition sich offenbar nicht nur in den Kirchen die Rede vom fortlebenden Christus missverständlich breit gemacht hat  - und anlog in den anderen Religionen - so dass der Weg zum Ziel wurde, und damit die Enttäuschung nach der Ernüchterung immer wieder vorprogrammiert ist. Klar erkennbar ist die falsche Rolle der Religionen daran, wenn sie die Mächte und Gewalten ihrer Zeit bedienen; im Gegenzug  billigen diese den Religionen dann gern ein Sondergut zu - vor allem die Pflege konfessioneller Unterschiede wie Fragen der Abendmahlsgemeinschaft und Kirchenstruktur und vermeintlich unaufgebbare Positionen wie in unseren Landen etwa Fragen des Schwangerschaftsabbruchs oder die Verurteilung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.

Gerade diese Beharrung auf  Sondergütern gliedert die Kirchen und Religionen ganz kompatibel in die Strukturen der Wettbewerbsgesellschaft ein und lassen sie als eine unter vielen Interessenvertretungen rangieren, lassen sie nicht ihren Auftrag wahrnehmen, Anwalt des Ganzen und aller zu sein.   

Zugleich ist die Bedingung leicht zu erfüllen, wenn sich Kirchen und Religionen unmissverständlich in Wort und Verhalten darauf besinnen, dass sie wirklich und im besten Fall nur ein Christus oder ein anderer der wahren Propheten des einzigen Gottes - dem Geheimnis, das  alle Menschen umfängt – sein können.  

Was heißt das: nur ein Christus und nicht mehr sein wollen, was heißt das für die Christusverkündigung der Kirchen? Nicht auf Christus oder einen anderen der Propheten hin erziehen  wollen, sondern auf den Weg Christi verweisen, der jeden einzelnen und die Gemeinschaften zu dem Ziel führt, dem Ziel aussetzt, das Gott alles in allem und der Gott aller ist.

Man könnte nun mit allen Pharisäern und Schriftgelehrten für diese Art der Christusförmigkeit, für die Christusnachfolge, die nicht auf Ihn hinführt sondern auf den Einzigen viele Schriftzeugnisse bemühen und sich vielen Gegenbeweisen aussetzen. Aber ist das nicht ein müßiges Geschäft, wo es nur um das Geschäft wegen des Geschäftes geht, und um die Kirche als einem Ofen, der sich selber heizt?

Denken wir nur an das zentrale Verkündigungsthema Jesu vom Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, um zu verstehen, dass es Ärgernis erregend ist, wenn sich Kirchen und Religionen häufig selbst zum Thema und Problem machen, sich den Menschen in den Weg stellen statt zu helfen, dass jeder seinen Weg zu gehen lernt.

Das ist doch die dem Evangelium gemäße Frucht der oft gegen die  Kirchen erkämpften Aufklärung:  Die selbst  und durch Mitmenschen verschuldete Unmündigkeit aufzugeben, die Vernunft tun zu lassen, was die Vernunft vermag, aber auch nicht mehr von ihr zu verlangen als sie vermag. Ich kann von der Vernunft nicht erwarten, den Glauben zu beweisen und sei es der alleraufgeklärteste, ich kann aber durch die Anstrengung der Vernunft  unterscheiden, was die Vernunft vermag und was der Glaube; Durch die Vernunft kann ich mich schrittweise und teilweise der Wirklichkeit annähern, durch den Glauben kann ich die  Wirklichkeit als Ganzes wahrnehmen, aber immer nur im Bild, in der Anschauung. Gerade dies ist eine sich entfaltende Frucht der Aufklärung, uns bewusst gemacht zu haben, dass Glaube  nur Wahrheit im Bild und nicht im Dogma sein kann.

Man hätte vermuten können, dass dieses Thema, Glaube und Vernunft, ausreichend abgegrenzt sei, beide Bereiche sich auf ihre Möglichkeit besonnen hätten, so dass es dem fast zwangsweise aufgeklärten Menschen heute möglich ist, beides gleichzeitig und mündig zu leben. Aber durch den neuen Papst wird das überwunden Geglaubte wieder zum Thema, weil die von ihm  schon als Kardinal vertretene Position eine neue Dimension der Publikation gewinnt.

Wenn Ratzinger formuliert „Im Christentum ist Aufklärung Religion geworden“ klingt das gut und fast auf Bonhoeffers Spuren vom religionslosen Christentum. Wenn er aber die Aussage begründet mit dem Hinweis, dass Gott selbst durch die Menschwerdung in die Religion eingetreten sei, dann ist das ein Zirkelschluss, um Glauben sicherer zu machen als alles andere, und führt  in die  bekannte Sackgasse, in der am Ende ein Christus als Ziel und seine einzig wahre Kirche den Weg versperren zu dem Einzigen, zu dem hin wir nach der Art Christi unterwegs sein können.

Dieser Eindruck einer unausweichlichen Stringenz  des Glaubens mag in Zeiten der Rückkehr der Religionen eine Erfolgswoge für die Kirchen bescheren, wird aber am Ende die Welle stranden lassen an den Gestaden der Wirklichkeit. Denn die mit den neuen Medien sich allen Menschen verstärkt aufdrängende Wirklichkeit lehrt uns, dass wir Menschen uns gleichberechtigt auf verschiedenen Wegen zu dem einen Ziel gelten lassen müssen. Will man einen Weg dem Zweifel der Vernunft, und damit der Relativierung entziehen, wird man Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.

Wer von der Diktatur des Relativismus spricht, - in Zeiten, in denen die Beziehung , die relatio, zur moralischen Pflicht für alle Menschen auf dem enger werdenden Globus wird,-  gaukelt uns  eine Diktatur des Absoluten vor, das uns alle nur als Geheimnis umweben und nicht als Diktat bestimmen will.          

Die Verbindung zwischen der zerlegenden bis zersetzenden Wahrnehmung der Wirklichkeit durch die Vernunft und ihrer bildhaften Wahrnehmung im Glauben scheint schon immer und einzig das Einheit stiftende Symbol und das „gute Werk“ zu sein: „nicht der, der Herr, Herr ruft, sondern wer den Willen meines Vaters tut ...“, das galt offenbar schon zu  Zeiten, da sich die beiden Wege noch nicht so eindeutig trennen ließen, und man meinen konnte, auch durch Glauben zum Wissen zu kommen und nicht nur zu einer anderen Art der Wahrnehmung.

Das gilt aber um so mehr heute, da sich beide Weisen nur als bedingte Weisen der Wahrnehmung wechselseitig akzeptieren müssen, die beide ihre Glaubwürdigkeit im Handeln für das allen unausweichlich Gemeinsame finden.

Deshalb kommt es auch in den Kirchen mehr und mehr zur Einsicht, dass allen Menschen auferlegte Aufgaben wie die Friedensfrage oder die Gerechtigkeitsfrage in das Glaubensbekenntnis gehören.

Als Antwort auf Gottes Bund mit der Schöpfung hat der Reformierte Weltbund in seiner Generalversammlung 2004 in Accra einen „Bund für wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit“ geschlossen, in dem es u.a. heißt: „Vor dem Hintergrund unserer reformierten Tradition und der Erkenntnis der Zeichen der Zeit erklärt die Generalversammlung des Reformierten Weltbundes, dass die Frage der globalen wirtschaftlichen Gerechtigkeit eine für die Integrität unseres Gottesglaubens und unsere Nachfolgegemeinschaft als Christinnen und Christen grundlegende Frage ist.........Darum sagen wir Nein zur gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung, wie sie uns vom globalen neoliberalen Kapitalismus aufgezwungen wird....“.

In den Akten dieser Generalversammlung ist eigens eine Exkursion  der Teilnehmer zu zwei Festungen an der Küste Ghanas, in denen die gefangenen Sklaven festgehalten wurden, erwähnt, die am Ende zur Einmütigkeit für diesen neuen Bundesschluss beigetragen haben:

„ In der Festung Elmina lebten die holländischen Kaufleute, Soldaten und der Gouverneur auf der oberen Etage, während die Sklavinnen und Sklaven darunter, eine Etage tiefer eingekerkert waren. Wir betraten einen Raum, der als Kirche benutzt wurde .... Wir haben uns vorgestellt, wie reformierte Christinnen und Christen ihren Gott anbeteten, während unmittelbar unter ihnen, direkt unter ihren Füßen, jene, die in die Sklaverei verkauft werden sollten, elend und in Ketten im Horror schmachteten. Fassungslos und verstört fragten wir uns. Wie konnten sie ihren Glauben so gänzlich von ihrem Leben abspalten?   .......

Als wir dann hier die heutigen Stimmen unserer Weltgemeinschaft hörten, wurden wir uns der tödlichen Gefahr bewusst, dieselbe Sünde jener zu wiederholen, deren Blindheit wir verurteilten. Denn unsere heutige Welt ist gespalten zwischen denen, die bequem und zufrieden Gottesdienst feiern, und denen, die durch die weltwirtschaftliche Ungerechtigkeit und die ökologische Zerstörung versklavt sind und immer noch leiden und sterben.“

Übrigens wird dieser Bundesschluss des Reformierten Weltbundes Gegenstand der Tagung des Weltkirchenrates 2006 in Porte Alegre sein.

Ob sich die römisch katholische Kirche anschließen wird?

Auf diesem Weg der Einheit stiftenden Symbole, von denen keiner mehr ausgeschlossen wird, und dem konkreten Bekenntnis und Verhalten für die gemeinsame Welt können die Kirchen dazu beitragen, dass religiöse Wellen nicht zur zerstörerischen Flut sondern zur fruchtbringenden Bewässerung des von der Dürre bedrohten Lebens werden.

                                                                                                                                  Josef Göbel