Abendmahl und Eucharistie

Das Sakrament der Einheit in den entzweiten Kirchen

Ich bin in einer katholischen Welt groß geworden, in der die Hochschätzung der Eucharistie selbstverständlich war. Man hatte in dieser Welt nicht viel Glaubenswissen. Wenn man etwas wusste, dann das, was mit der Messe zusammenhing: dass es die Wiederholung des Kreuzopfers sei; dass es eine Stelle besonderer Gnade sei; dass Gott so definitiv gegenwärtig sei wie ich in meiner eigenen Haut.

Es war übrigens nicht nur ein schönes und warmes Wissen. Wer das Regelement um die Eucharistie verletzte, konnte in panische Angst verfallen: wer das Nüchternheitsgebot verletzt, wer sich im Stande der Todsünde glaubt, oft aus lächerlichem Anlass; wer als Priester nicht wusste, ob er auch korrekt jeden Buchstaben der Abendmahlsworte ausgesprochen hatte. Ich bin froh, dass es im Katholizismus so etwas wie eine eucharistische Abkühlung gegeben hat. Aber diese Kritik ist nicht die Haupterinnerung. Die Hauptsache war dieser Ort der Berührbarkeit des Geheimnisses.

Eine Befreiung aus eucharistischer Überdeterminierung habe ich auch in einem Benediktinerkloster erfahren, wo es natürlich die tägliche Messe gab; anfangs sogar die täglich 40-50 Messen, die von den einzelnen Priestern gelesen wurden. Aber es gab keine spezielle Sakramentenfrömmigkeit. Es gab keine 'Aussetzung', keine öffentliche Verehrung des Brotes. Nach einem halben Leben im Katholizismus konvertierte ich (aus äußeren Notwendigkeiten, nicht aus inneren), und ich erlebte die ganze Beiläufigkeit des Abendmahls im Protestantismus. In der Rheinischen Kirche war es damals ein Anhängsel des Gottesdienstes, zu dem nur noch wenige Kirchenbesucher blieben. Dieser Teil des Gottesdienstes bestand nur noch aus einigen liturgischen Überschriften, sinnlos zusammengestellt.

Zurückblickend sehe ich mit Erstaunen, dass sich der Stil meiner Frömmigkeit und die Art meiner Bedürfnisse in der evangelischen Kirche verändert haben.  Ich habe mir angewöhnt, nicht nur das eucharistische Brot zu essen, sondern auch andere Brote: die Bibel, die protestantischen Choräle, und sie ernähren mich. Es gibt offensichtlich unterschiedliche Frömmigkeitsstile, die nicht gegeneinander auszuspielen sind. Es gibt Dialekte der Frömmigkeit, in denen die Bedeutung des Abendmahls unterschiedlich ist. Die Sakramentenfrömmigkeit des Protestantismus ist undeutlich, vielleicht auch unterentwickelt, vielleicht auch gelegentlich lächerlich in der Praxis. Aber dieser Protestantismus hat andere Begabungen, und er braucht vielleicht deshalb weniger diesen Frömmigkeitsstil. Schon allein deswegen brauchen sich diese beiden Kirchen; denn die Begabung der einen dient der Schwäche der anderen. Ich glaube nicht, dass der Protestantismus eine eucharistische Frömmigkeit braucht, wie der Katholizismus sie hat, aber er braucht den Katholizismus in seiner anderen Begabung, so wie dieser den Protestantismus braucht. Vereinigung dieser beiden Kirchen heißt nicht Angleichung bis zur Unkenntlichkeit. Es heißt vielmehr, dass das Charisma der einen der Bedürftigkeit der anderen dient.

Ich möchte von zwei Begabungen des Glaubens sprechen, einer katholischen und einer evangelischen.

Die katholische: Die Katholiken glauben, dass das Geheimnis Gottes so Fleisch geworden ist, dass man seine Stelle nennen kann; dass man es berühren kann; dass man eine Lampe - das ewige Licht - anzünden kann, wo es wohnt; dass man es auf die Straße tragen und in einem Blumenmeer verehren kann (wir haben gehört, was Frau Berger von dem Fronleichnam ihrer Kindheit sagte). Dies ist ein anderer Umgang mit dem Sakrament, den ich achte, ohne dass es meine Form sein muss. Ich wünsche aber, dass sich diese katholische Begabung an einer anderen, der evangelischen reibt.

Diese Begabung des Glaubens warnt vor den Festlegungen und vor den falschen Eindeutigkeiten. Gott ist in seinem Geheimnis gegenwärtig, aber du kannst ihn nicht fassen noch auf eine Stelle bannen. Du kennst den Namen dieses Geheimnisses nicht. Es ist nie genau an eine Materie, an ein Ritual und an einen Ort zu binden. Hüte dich also vor den falschen Festlegungen!

Beide Begabungen des Glaubens haben ihr Recht und ihre Gefahr. Die Gefahr des Katholizismus ist die der ritualistischen Handhabung des Geheimnisses. Die Gefahr des Protestantismus ist die Unkonkretheit. Könnte es sein, dass vor lauter Scheu vor Festlegungen das Geheimnis nur als Sagbares besteht, nicht aber als Zeigbares? Wo bleibt die Heiligkeit der Dinge - des Raumes, der Zeit, der Orte? Könnte es sein, dass das fruchtbare und unentbehrliche Prinzip der Negation gelegentlich zur furchtbaren Entwichtigung aller Vorläufigkeiten wird? Wir brauchen einander. Wenn wir miteinander das Brot teilen dürften, dann könnten wir einander helfen - und es könnte doch jede Konfession mit ihrer Begabung und mit ihrer Schwäche bestehen bleiben. Wir wollen ja nicht gleich werden, wir wollen eins werden.

"Wenn wir das Brot teilen dürften", sagte ich. Wer verbietet es eigentlich? Wer glaubt eigentlich wirklich, dass wir so getrennt sind, dass wir das Sakrament miteinander nicht nehmen dürften? Vielleicht erstaunt Sie diese Frage. Ich möchte wenige Beispiele nennen, die sie verständlich machen:

Ø       Vor kurzem habe ich erlebt, wie ein evangelischer Bischof in einer katholischen Messe kommunizierte und dann zusammen mit dem Priester die Kommunion austeilte.
Was tun sie, und welche Lehren lehren sie?

Ø       Vor einiger Zeit war ich auf einer Tagung. Das evangelische Abendmahl werde gefeiert, und alle anwesenden katholischen Theologieprofessoren gingen zum Abendmahl.
Was tun sie, und welche Lehren lehren sie?

Ø       Vor einiger Zeit war ich auf einer katholischen Tagung, auf der auch einige katholische Bischöfe waren. Die Messe wurde gefeiert, und die Bischöfe luden mich ausdrücklich zur Kommunion ein.  Ich bin nicht nur evangelisch, sondern aus römischer Sicht auch exkommuniziert.
Was tun sie, und welche Lehren lehren sie?

Ø       Mein letztes Beispiel: Ein italienischer Bischof lädt eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern ein und bespricht mit ihnen moraltheologische Probleme. An einem Morgen hält der Bischof die Messe für seine Gruppe. Ein protestantisches Mitglied fragte ihn, ob auch er kommunizieren dürfte. Der Bischof antwortet: "Wer viel fragt bekommt viele Antworten." Und der Professor darf kommunizieren.

Ø        Was tut der Bischof, und welche Lehre lehrt er?

Bei meinen ersten Beispielen habe ich keine Namen genannt. Für dieses letzte nenne ich sie: Der Professor heißt Chrystoph Morin, er ist ein polnischer Mathematiker. Der Bischof heißt Johannes Paul II, Bischof von Rom und Papst. Ort des Geschehens: Castel Gandolfo. Noch einmal meine Frage: Wird das Verbot des gemeinsamen Mahles nicht allmählich eine Lehre ohne Subjekte, die sie tragen und glauben? Ist dieses Verbot nicht ein inhaltsloses Ritual geworden? Unter den Theologen auf beiden Seiten muss man die strikt Verbietenden mit der Lupe suchen; unter den Theologinnen eh'.. Eine andere Frage ist allerdings, ob sie alle sagen, was sie denken und glauben...

Als in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 die deutschen Synagogen brannten, feierte dies der damalige thüringische evangelische Landesbischof als gutes Geschenk zu Luthers Geburtstag am 18. November. Was, um Gottes Willen, sollte mich mit jenem Menschen einen, trotz des vielleicht einheitlichen Glaubensbekenntnisses? Eine Konfession und getrennt im Glauben! Und andersherum: es gibt so viele Menschen, die von uns verschieden in der Konfession sind und eins im Glauben.

"Einheit ist immer nur zu haben als Ringen um die Einheit!" Der Satz hat seine Wahrheit, und er ist irrig. Die Einheit ist da vor allem Ringen und vor aller Herstellung in unserem Herrn und Bruder, der seine Kirche stärkt und tröstet. Wir alle berufen uns auf Oscar Romero und Martin Luther King. Die Einheit ist da, wenn wir die Geschichten der Tradition hören und die Lieder der Toten singen. Die Einheit ist da, wenn wir in den verschiedenen Dialekten des Glaubens die Bibel lesen. Nein, der Skandal ist nicht, dass die eine Kirche noch nicht da wäre. Der Skandal ist die Behauptung, die Kirchen seien getrennt und darum dürfe man das Abendmahl nicht gemeinsam nehmen. Wir stellen unsere Würdigkeit für den Empfang dieses Brotes nicht selbst her. Es liegt uns etwas vor, das wir nicht selber gemacht haben und das vor all unserem eigenen Ringen liegt. Wir werden als Theologen auch einmal gefragt werden, ob wir Menschen nicht in falsche Fragen verstrickt haben und sie damit von den richtigen abgelenkt haben.

Sollten wir uns wirklich von kirchlichen Behörden eine Wahrheit diktieren lassen, an die wir nicht mehr glauben, und ich sage dazu: an welche die meisten Vertreter dieser Behörden nicht mehr glauben?Beispiele habe ich genannt. Es ist Zeit, dass wir Gott gehorchen. Es ist Zeit, dass wir an eine Einheit glauben, die in ihm selber ihren Grund hat. Ich sage es auch von uns als Volk Gottes: Wir sind dafür verantwortlich, dass wir uns in falschen Fragen nicht selber fesseln. Geht zum Abendmahl, Ihr Katholiken! Geht zur Kommunion, Ihr Protestanten! Und Ihr werdet sehen, dass Ihr es tun könnt. Am Ende leuchtet nur das ein, was man wirklich tut.

                                                                                                                      Fulbert Steffensky