Sanierungsfall Christentum

 

Die Äußerung der Bundeskanzlerin, Deutschland sei „auch ein Sanierungsfall“, hat irritiert. Die Worte sind zugespitzt, aber voller Wahrheit. Ist auch die Kirche ein Sanierungsfall?

Nicht zu übersehen sind ähnliche Symptome: äußerst beunruhigend die geistige und geistliche Auszehrung der nicht mehr nachwachsenden Generation.

Gut besuchte Jugend- und Kirchentage können über den Ernst der Lage nicht hinwegtäuschen. Die liturgischen Reformen betrachtet man als beendet. Die gottesdienstliche Stagnation und die Abstimmung mit den Füßen gegen Eucharistie und Abendmahl, den Kern christlicher Existenz, offenbaren jedoch pure Ratlosigkeit. Die Liturgie selber ist zum Sanierungsfall geworden.

Weder ein „Zurück“, das nur traditionalistisch exotische Sondergruppen bedient, noch das „Weiter so“, das kaum mehr als eine Zehn-Prozent-Minderheit erreicht, überzeugt.

In welche Richtung es gehen soll – darüber wird im Gottesvolk nicht einmal mehr gestritten.

Der Reformstau wirkt unten fast noch bedrohlicher lähmend als beim geistlichen Amt. Und dann werden auch noch die engagiertesten Gläubigen – wie jetzt jene, die sich bei „Donum Vitae“ für ungeborenes leben einsetzen – lehramtlich ins kirchliche Abseits gestellt, ja stigmatisiert, sogar von Bischöfen, die einst selber vehement für diesen Gewissensweg votierten.

Der „Sanierungsfall Kirche“ ist nicht bloß fremdgemacht, er ist – wegen verdunkelter Glaubwürdigkeit des Glaubens – wesentlich hausgemacht; auch durch Getaufte, die sich der religiösen Auseinandersetzung und Selbst-Sensibilisierung durch Ignoranz, Schweigen und Distanz entziehen.

Mit der alleinigen Beschwörung von Glaubenswissen ist es nicht getan, ebenso wenig mit missionarischem Glauben-vorschlagen. Man muss sich aus dem Elfenbeinturm passiver Selbst(un)zufriedenheit wagen. Auch eine Theologie ohne öffentliche Relevanz, die dem hin und wieder doch noch fragenden Volk nichts zu sagen hat, ist ein Sanierungsfall – mitsamt dem Glaubensgebäude, das sie zu schützen meint, das in Wirklichkeit unter geänderten klimatischen Verhältnissen dem Verfall wie preisgegeben erscheint.

Hans Küng fordert seit langem den Paradigmenwechsel. Er bekommt Tag für Tag mehr Recht. Es gibt den tiefen Wandel, ja Bruch in den Verstehensmodellen von Gott und Mensch, Erlösung, Heil, Himmel, Kosmos, Leben.....In den zentralen Glaubens- und Gottesvorstellungen hat sich der „Sanierungsfall Christentum“ zugespitzt.

Wie ist zwischen der erzählend überlieferten Glaubens-Wahrheit biblischer Offenbarung und der empirisch erforschten Wissens-Wahrheit heutiger Welterkenntnis zu vermitteln? Da geht es um weit mehr als nur um Renovieren, Umbauen, Ausbauen, Anbauen. Es geht um eine neue Architektur dessen, was Glauben mit Vernunft heißt: Mysterium und Aufklärung!

Auf der Baustelle Christentum kann uns Furcht und Zittern packen. Viel mehr jedoch: Freude, Leidenschaft, Lust.