Nachgefragt
bei Militärdekan Horst Scheffler:
UN-Polizei?
Herr Scheffler, warum sind Sie Militärpfarrer geworden?
Scheffler: Weil mich Prof.
Hans-Dieter Bastian, der Religionspädagoge in Bonn auf Militärseelsorge
aufmerksam gemacht hat und mir vorschlug, statt mich mit Sonderpädagogik - in
meinem Fall vorrangig Waldorf-Pädagogik - zu beschäftigen, mich mal mit dem
Lebenskundlichen Unterricht in der Militärseelsorge in der Bundeswehr zu
befassen. Ich fand das zunächst eine sehr abwegige Idee, weil ich ja selbst
kein Soldat war, Bundeswehr mir fremd, Kirche in der Bundeswehr - also
Militärseelsorge - eher unheimlich erschien. Aber erste Kontakte übten einen
großen Reiz auf mich aus. Zweitens
wollte ich wissen: ist "Friede" etwas anderes, wenn Politik, wenn Militär,
wenn Kirche davon reden? Schließen sich die Friedensbegriffe der jeweiligen
Bereiche aus oder bilden sie etwa wie in der Mengenlehre der Mathematik
Teilmengen miteinander? Und der dritte Aspekt war der Reiz, mit Menschen,
damals vorrangig Männern, zu arbeiten, die im Kernbereich unserer kirchlichen
Gemeinden eher nicht zuhause sind.
Wie haben Sie die Spannung zwischen dem
realen Soldatendienst und der christlichen
Friedensethik erlebt?
Scheffler: Mir wurde deutlich, dass
die Soldaten die "Hilfen für die innere Führung", die den Dienst als
Friedensdienst charakterisierten, ernst meinten. Auf der anderen Seite wurde
mir ebenso klar, dass die Friedenstexte aus den Kirchen, angefangen mit dem
Text Amsterdam 1948 und seinem Kernsatz: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht
sein", bis hin zu den Texten aus dem Kirchenbund der evangelischen Kirchen
der DDR von uns Militärseelsorgern zu vermitteln sind. Wichtig ist, dass die
Militärpfarrer, auch wenn sie nicht Gemeindepfarrer sind, mit ihrem Zusatzauftrag
in der Soldatenseelsorge in ihrem Bewusstsein und kirchenrechtlich rückgebunden
bleiben an die Gemeinden. Und dass sie ihre Aufgaben in den jeweiligen
Ortskirchenvorständen, Presbyterien, Kirchenkreisen als Brückenbauer zwischen
Ortsgemeinden und Soldatengemeinde ernst nehmen. Ich habe als Dekan in Mainz
immer darauf Wert gelegt, dass dieser Brückenschlag gelingt. Natürlich ist die
Versuchung groß, auch aus dem Gemeindedienst zu flüchten.
Nun ist ja das Konzept einer internationalen Polizei, das Sie seit Jahren
als Ablösung
von Militär propagieren, sicher auch ein
Ergebnis Ihres Lebens in diesem
Spannungsfeld?
Scheffler: Die Konzeption der inneren
Führung, auf die die Soldaten verpflichtet sind, hat ein pazifistisches
Vorzeichen vor die Bundeswehr gesetzt und dieses pazifistische Vorzeichen, das
natürlich aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland entnommen ist,
lässt nicht zu, dass mit dieser Armee wieder Krieg geführt wird.
Also ist doch die Bundeswehr die größte Friedensbewegung, wie es unter Kohl, Wörner und anderen immer hieß?
Scheffler: Nein, ich meine etwas
anderes. Vor dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht aufgrund der
Erfahrungen aus dem Dritten Reich ein pazifistisches Vorzeichen. Innere Führung ist zunächst mal die
Konzeption vor allem im Recht, die Grundrechte der Verfassung auch in der Armee
wirksam werden zu lassen. Und das Grundgesetz enthält ein eindeutiges
Kriegsverbot, sogar präzise: Angriffskrieg ist verboten, militärischer Einsatz
ist nur zur Verteidigung erlaubt. Das schränkt den Dienst des Soldaten
gegenüber früheren soldatischen Formen auch in Deutschland in radikaler Weise
ein.
'Würden Sie denn sagen, dass alle UNO-Aufträge, in denen jetzt die
Bundeswehr im Ausland steht, schon Polizeieinsätze sind?
Scheffler: Das sind sie deswegen nicht,
weil das Polizeirecht in internationaler Weite so noch nicht codiert ist wie
ich das wünsche. Allerdings nähern sie sich in dem, was die Soldaten
tatsächlich tun aufgrund der gegebenen rules
of engagement, einem noch zu verfassenden Polizeirecht immer stärker an.
Sie haben einmal von Bredow zitiert: es müssten
Deeskalationsstreitkräfte werden. Können Sie das mal etwas erläutern, wie Sie diese Vision sehen? Welchen Unterschied sehen Sie zwischen
Militär und Polizei?
Scheffler: Ja, es wird uns häufig
vorgeworfen, wir würden mit dieser Forderung Polizei in Militär zu
transformieren, nur ein semantisches Problem benennen oder eine Schwindelei
betreiben. Nein, es ist wirklich ein gravierender rechtlicher Unterschied. Polizeieinsätze haben von vorneherein das
Ziel der Minimierung der Gewalt. Es geht also um die Verhältnismäßigkeit der
eingesetzten Gewaltmittel, um die Güterabwägung - wie zu handeln ist - und um
die rechtsstaatliche Überprüfbarkeit dessen, was geschehen ist. Militär hat immanent
die Eskalation, Polizei die Deeskalation des Konflikts im Auge.
Das ist ja eigentlich das klassische Blauhelmkonzept der UNO. Es ist
seit Srebrenica 1995 diskreditiert. Kann man dieses Konzept politisch wieder wirksamer machen?
Scheffler: Der klassische
Blauhelmsoldat war zwar bewaffnet, hatte aber vorrangig Beobachtungs- und
Schlichtungsaufgaben in Zonen, auf die sich die vorherigen Konfliktparteien
geeinigt hatten. Aber er hatte keinen robusten Einsatzauftrag. Wenn Menschen
gequält, geschunden werden; bei Terror, Völkermord, Vergewaltigung sollte nach
meiner Vorstellung die internationale Polizeieinheit auch gegen den Willen der
Täter handeln können und sie muss auch dann handeln. Also, am Beispiel
Srebrenica: Die Blauhelmsoldaten des niederländischen Bataillons konnten damals
aufgrund der gegebenen rules of
engagement die Verbrechen beobachten, protokollieren und melden; sie
konnten sie aber nicht verhindern durch tatkräftigen Einsatz. Sie hatten weder
den Auftrag noch die entsprechende Bewaffnung, um die Menschen vor Tod und
Erschießung retten zu können.
Wie viele Jahrzehnte
brauchen wir noch, wenn wir konsequent internationale Polizei als Ablösung von
Militär in der Welt fordern?
Scheffler: Für mich ist ein
Vergleichsfall im 19. Jahrhundert die Forderung des amerikanischen Präsidenten
Abraham Lincoln, die Sklaverei abzuschaffen. Auch das ging nicht von heute auf
morgen. Sklaverei war damals ein anerkannter Fall, mit Menschen zu handeln, und
es brauchte politische, damals auch militärische Mittel, um dieses Ziel zu
erreichen. Aber dann war der politische Wille vorhanden, Sklaverei
abzuschaffen, sie zu ächten, sie zu verbieten und bei Zuwiderhandlung
Sanktionen zu verhängen. Damit war der Menschenhandel nicht sogleich aus der
Welt. Auch heute noch wird mit Menschen gehandelt, vorrangig ja wie wir wissen
auf dem Balkan mit Frauen, aber der,
der das tut, wird dafür nicht mehr ausgezeichnet, sondern bestraft.
Hier sehe ich die Analogie zur Überwindung des Krieges. Abschaffung heißt zunächst mal: den Krieg als Mittel der Politik für obsolet erklären und in der Konsequenz dann auch die Kriegsführung zu verbieten und die Kriegsführenden zu bestrafen. Es gilt, eine Alternative anzubieten, die in der Lage ist, Menschen, die durch Gewalttäter bedroht, geschunden und mit dem Tode bedroht werden, vor diesen Bedrohungen und Schandtaten zu schützen - und wenn sie denn geschehen, sie aus den Händen der Täter zu retten und zu befreien.
Danke für das Gespräch.
(Dieses Interview ergänzt die Thesen von H. Scheffler in der PCZ 4/02.)