Der Aktionskreis Halle (AKH)
als Teil der Suchbewegungen des nachkonziliaren Katholizismus
Entstehung und frühe
Entwicklung
Das Thema meines Beitrages ist nicht zufällig gewählt. Es ist dem Untertitel einer Abhandlung über den Freckenhorster Kreis von Großbölting[1] entnommen.
Mit meinen Ausführungen soll in Erinnerung gerufen werden, dass auch der Aktionskreis Halle (AKH) von Anfang an Teil der „Suchbewegungen des nachkonziliaren Katholizismus“ sein wollte.
1. Selbst
Insider haben sich schon lange daran gewöhnt, dass die Entstehungsgeschichte
des AKH meist auf den Zusammenhang mit dem 1969 erzwungenen Bischofswechsel in
Magdeburg reduziert wird[2],
wenn auch die Absetzung von Weihbischof Dr. Rintelen der äußere Anlass für die
Gründung des AKH war[3].
Am 19.07.1969 solidarisierten sich mit Weihbischof Rintelen in Halle zahlreiche Amtsträger mit später insgesamt 144 Unterschriften, aber auch ehemalige Mitglieder der Katholischen Studentengemeinde Halle[4]. Das noch nicht lange beendete Konzil hatte große Hoffnungen geweckt. So erwartete man bei der Neuernennung des Magdeburger Bischofs tatsächlich ein Mitspracherecht.
2. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962 – 65), seine Ziele und Ergebnisse, hatte für Bewegung und Bewegungen in der Kirche gesorgt. Es zeigten sich eine bemerkenswerte Aufbruchstimmung, beträchtliche Hoffnungen, offene Diskussionen und lebendiger Reformeifer, aber auch viel Irritationen, Misstrauen und Ängstlichkeit.
3. In der nachkonziliaren Zeit gab es eine Reihe von Ereignissen, Versuchen, Bewegungen und Personen, die für die Entstehung und Entwicklung des AKH von besonderem Einfluss waren.
Die Gewichtungen werden je nach persönlicher Nähe zu den einzelnen Akteuren bzw. nach erreichbarer Aktenlage und (noch) vorhandenen Zeitzeugen unterschiedlich ausfallen.
Herold beschreibt diesen „nachkonziliaren kirchlichen und gesellschaftspolitischen Kontext“ recht ausführlich[5], so dass aus meiner Sicht nur wenige Ergänzungen und abweichende Akzentuierungen nützlich erscheinen.
3.1. Für die Entstehungsgeschichte des AKH waren zunächst die Studentengemeinden
wichtig, insbesondere die KSG Halle zur Zeit der Studentenpfarrer Brockhoff (1953-66) und Göbel (1970-75) sowie die daraus hervorgegangenen „Akademiker-Kreise“ mit den Geistlichen Beiräten Schäfer, Mechtenberg und Brockhoff und den gewählten und bischöflich anerkannten Sprechern Hahn und Schülke.
3.2. Auf diesem Hintergrund entstand der 1966 ins Leben gerufene Kreis der „Korrespondenz“ mit etwa 10 Hallenser Akademikern und Studenten (u.a. mit Bartusch, Fieber, Hahn, Kinzel, Renger, Schülke, Stosiek), die versuchten, in der Form „offener Briefe“ ihre kritische Meinung zu Fragen des kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens in der DDR in 13 Faszikel mit je ca. 200 Exemplaren mutig zu verbreiten und die jeweils mit Namen und Anschrift unterzeichneten. Durch gezieltes Misstrauen von kirchenleitenden Stellen und durch gefährliche Verdächtigungen musste dieses Experiment einer „Gesprächsplattform“ 1969 eingestellt werden[6] .
3.3. Im Zusammenhang mit der neuen DDR-Verfassung vom 06.04.1968 kamen durch Initiative von Pfarrer Dr. Dr. Schimke und auf persönliche Einladung von Weihbischof Aufderbeck erstmals am 20./21.04.1968 etwa 15 Herren (bemerkenswerterweise keine Teilnehmerinnen) zu einem „Gespräch über kirchliche Fragen der Gegenwart“ im Bischofshaus von Erfurt (Hermannsplatz 9) zusammen.
Zur Vorbereitung des Gesprächs wurden Mappen mit 22 Thesen und Erläuterungen verteilt, die im wesentlichen von Pfarrer Schimke formuliert und zusammengestellt waren.
Weitere Zusammenkünfte fanden am 19./20.10 68 und 15./16.03.69 in Erfurt statt. Der für Oktober 69 vorgesehene Termin wurde zunächst auf den 07./08.03.70 verschoben, schließlich wurde mit Schreiben vom 12.02.70 die Fortsetzung des Erfurter Gesprächs ganz abgesagt.
An den Treffen nahm auch Bischof Schaffran teil. Von Berlin war zunächst Prälat Groß dabei, beim letzten Gespräch Kardinal Bengsch.
Von den 15 Teilnehmern am „Erfurter Gespräch“ waren folgende später Mitglieder bzw. Sympathisanten des AKH: Brockhoff, Schülke, Willms bzw. Schäfer, Surek, Trilling.
Wieweit der Erfurter Gesprächskreis mit seinen teilweise sehr kritischen Analysen des DDR-Katholizismus und mit seinen Forderungen einer innerkirchlichen Erneuerung von besonderem Einfluss auf die Entstehung des AKH war, erscheint nicht nachweisbar. Aber es ist naheliegend, dass die wichtigen Gründungsmitglieder Brockhoff und Schülke sich durch ihre Teilnahme am Erfurter Gespräch in ihrer Sorge und Mühe um erforderliche Reformen bestätigt und bestärkt sahen[7].
3.4. Die Synode des Bistums Meißen (1969 – 71)[8] war mit Gewissheit ein Ereignis, das die Gründungsabsichten des AKH beflügelt hat. Vorbereitung, Durchführung und Ergebnisse dieser Synode fanden bei manchen späteren Gründungsmitgliedern des AKH aufmerksame Beachtung und Ermutigung. .
Das geschah nicht nur über die Synodalen, die später Mitglieder bzw. Sympathisanten des AKH wurden: Karl Herbst, Fritz Rebbelmund, Clemens Rosner und Wolfgang Trilling.
Die Unterlagen und Dokumente dieser Synode waren begehrt und wurden auch außerhalb des Bistums Meißen mit Spannung und Hoffnung studiert.
3.5. Von außerordentlichem Einfluss auf die Entstehung des AKH war das Phänomen, dass sich seit Mitte 1968 in vielen Diözesen der Bundesrepublik freie Impulsgruppen von Priestern (sog. Priestergruppen) und Solidaritätsgruppen (SOG) bildeten.
In jenen Jahren gab es im Magdeburger Klerus viele Pfarrer, die in Paderborn studiert hatten und/oder dort geweiht waren. Die persönlichen Beziehungen und fachlichen Kontakte blieben großenteils erhalten und wurden gepflegt. Der Austausch erstreckte sich selbstverständlich auch auf die Gründung und Tätigkeit der neuen Solidaritätsgruppen bzw. Priestergruppen.
Darüber schreibt auch Herold[9] zu Beginn seines Kapitels über den nachkonziliaren kirchlichen und gesellschaftspolitischen Kontext zur Zeit der Gründung des AKH.
Herold nennt retrospektiv sogar in einem Atemzug die „SOG (Solidaritätsgruppen) in der BRD und der DDR“ und nimmt folgende Kennzeichnung vor: “Der AKH versteht sich 1969 als informelle Solidaritätsgruppe von Priestern und Laien im Erzbischöflichen Kommissariat Magdeburg“.[10] Damit ist bereits einer von zwei wichtigen Unterschieden zu den westdeutschen „Pendants“ genannt: Der AKH war von Anfang an offen auch für Nicht-Priester und für Nicht-Katholiken. Schäfer[11] charakterisiert den AKH so: „...er war eine echte ökumenische Basisgruppe in der DDR mit fluktuierender „Mitgliedschaft“ und einem harten Kern.“
In der damaligen Bundesrepublik gab es eine größere Anzahl von Solidaritätsgruppen (SOG), die überwiegend bis heute bestehen. In der DDR blieb der AKH die einzige derartige Gruppe. Deshalb kamen und kommen die „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des AKH“ bis heute aus allen Jurisdiktionsbezirken der ehemaligen DDR.
Mehrere westdeutsche Gruppen tragen übrigens in ihrem Namen die Bezeichnung „Aktionskreis“, z.B. „Aktionskreis Augsburg“ (AKA) und „Aktionskreis Regensburg“ (AKR). Solche Beispiele haben wohl auch die Namensgebung in Halle beeinflusst.
Besondere Beziehungen des AKH bestehen bzw. bestanden zur „SOG Paderborn“, zum „Freckenhorster Kreis“ (FK) und zum „Bensberger Kreis“, der sich leider am 11.09.2004 aufgelöst hat. Vorher hat er gemeinsam mit dem AKH noch das Memorandum „Gesellschaft ohne Arbeit? Arbeit und Wachstum in der postindustriellen Gesellschaft“ verabschiedet und veröffentlicht.
Bereits im Mai 1969 schließen sich die meisten Solidaritätsgruppen in Königshofen zu einer „Arbeitsgemeinschaft von Priestergruppen in der Bundesrepublik Deutschland (AGP)“ zusammen, ohne dass die einzelnen Gruppen dadurch ihre Eigenart und Selbständigkeit aufgeben. Mitteilungsblatt bzw. Informationsdienst der AGP sind seit November 1969 die „SOG-Papiere“, die inzwischen als Beilage der Zeitschrift „imprimatur“ aus Trier erscheinen[12].
Der Beweggrund der Solidarisierung aller Gruppen wird in der „Situation des Glaubens in der Kirche“ gesehen, die für derart kritisch gehalten wird, „dass diejenigen, die sie so täglich praktisch erfahren, zum einzigen Mittel greifen, das sie sehen: zur Veränderung dieser Lage in eigener Verantwortung dort, wo sie leben und arbeiten. Diese Lage ist, auf einen Nenner gebracht: Die Kirche ist dabei, die vom Konzil her gegebene Chance der Erneuerung zu verpassen.“[13]
Ähnlich wird es in Gründungserklärung und Satzung des Freckenhorster Kreises gesehen. Dort wird konstatiert „eine Autoritäts- und Vertrauenskrise zwischen Klerus und Laien sowie im Verhältnis zwischen den Trägern der Hierarchie und den übrigen Priestern, die sehr leicht zu einer fundamentalen Krise des Glaubens selbst führen könne. Diese Misere habe ihre Wurzeln in der gebremsten bis gestoppten Dynamik des Zweiten Vatikanums, obwohl gerade das Konzil weniger als ein Abschluss denn als ein Anfang gesehen werden dürfe. Die Initiatoren des Kreises sahen die Gefahr, dass die Einsicht zur ständigen Reformbereitschaft der Kirche schwindet wegen der weit verbreiteten Besorgnis über die notwendige Unruhe des Aufbruchs, der bei den kirchlichen Amtsträgern immer einflußreicher werdenden restaurativen Kreise und der mangelnden Tatkraft der Leitungsinstanzen bei der Umsetzung der Reformen.“[14] Der AKH war stets auf nur wenige (theologische und kirchenpolitische) Quer- und Vordenker angewiesen und hatte meist Schwierigkeiten, Anregungen und entsprechende Literatur für aktuelle und bewegende Fragen zu beschaffen und zu bearbeiten.
Das wird noch deutlicher, wenn man im Vergleich zum AKH die Namensliste der Initiatoren des „Freckenhorster Kreises“ zur Kenntnis nimmt: Hans Werners, Walter Kasper, Werner Hülsbusch, Franz Kamphaus, Ludwig Münster, Winfried Feldkamp, Adolf Exeler, Karl Rahner, J, Baptist Metz, Peter Lengsfeld, Paul Schladoth, Ferdinand Kerstiens, die allesamt an der Universität oder in der Studenten- und Akademikerseelsorge tätig waren.[15]
Dennoch bzw. gerade deshalb sind z.B. die „Nienburger Thesen zur Solidarität der Gruppe“ vom 27.09.1969[16] mit den Autoren Verstege , Schülke, Herold, Brockhoff, Renger und Antkowiak für den AKH besonders wertvoll, weil sie eigenständig die Situation der Kirche in der DDR auf „mitteldeutsch“ buchstabieren.[17]
Auf der bereits erwähnten konstituierenden Versammlung der „Arbeitsgemeinschaft von Priestergruppen in der Bundesrepublik Deutschland“ (AGP) wird u.a. eine „Basiserklärung“ verabschiedet, die auch für den AKH wichtig werden sollte.
Bereits im Juli 1969 schließen sich in Chur nach einem vorbereitenden Treffen in Löwen die europäischen Priestergruppen zusammen.
Schließlich kommt es vom 10. bis 16. Oktober 1969 während der gleichzeitig stattfindenden Bischofssynode zu einer „Delegiertenkonferenz europäischer Priestergruppen“ in Rom. Über die Priestergruppen allgemein, über ihre Arbeitsgemeinschaft in der Bundesrepublik (AGP), sowie über den Zusammenschluss und die Treffen bzw. Konferenzen der europäischen Priestergruppen berichtet ausführlich eine Dokumentation von Raske, Schäfer, Wetzel (herausgegeben im Auftrag der AGP), die noch im Jahre 1969 erscheint.[18] Diese Dokumentation sollte auch für Entstehung und Entwicklung des AKH bedeutsam werden.
4. Nach manchen vorbereitenden Treffen und Papieren lädt ein „provisorischer“ Sprecherkreis (Glatzel, Bartusch, Herold, Kamper, Renger, Verstege) zur 1. Vollversammlung des AKH am 14.03.1970 in Halle (Hl. Kreuz) ein. In der vorläufigen Tagesordnung wird unter TOP 5 “die Wahl des neuen Sprecherkreises der Solidaritätsgruppe“ (sic!) vorgeschlagen, aber nicht durchgeführt.[19]
Bereits am 04.04.1970 wird die zweite und konstituierende Vollversammlung des AKH[20] abgehalten mit der Wahl des 1. Sprecherkreises aus drei „Amtsträgern“ und drei „Laien“. Als Amtsträger wurden die wesentlichen Gründungsväter des AKH neben Helmut Langos gewählt: Adolf Brockhoff, Claus Herold und Willi Verstege, als „Laien“: Herbert Hahn, Peter Renger und Renate Wohlrab.
Die erste Postanschrift lautete: p.A. Claus Herold (bis 1974). Danach tritt Joachim Garstecki mit seiner Adresse in Magdeburg als wichtiger Quer- und Vordenker in die nicht ungefährliche Öffentlichkeit und ab 1979 schließlich Willi Verstege. Nach der Wende übernahmen Josef Göbel und Monika Doberschütz diese Funktion.
Die wesentlichen Ziele des AKH sind in der „Vorläufigen Grundsatz-Erklärung des Aktionskreises Halle (AKH)“ von 1970 genannt, erläutert und abgegrenzt vor Fehlinterpretationen: DEMOKRATISIERUNG; HUMANISIERUNG und INTERPRETATION DES GLAUBENS. Diese programmatischen Grundforderungen und ihre Erläuterungen bilden die bis heute verbindliche Basiserklärung für den AKH und enthalten eine kritische innerkirchliche Analyse im Lichte der wesentlichen Ziele und Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils und verlangen die notwendige Umwandlung der Kirche nach Maßgabe der zeitgemäßen Berücksichtigung von „Demokratisierung“, „Humanisierung“ und „Interpretation des Glaubens“.
Denn – so heißt es in der Grundsatz-Erklärung – die nachkonziliare „Kirche engagiert sich nur zögernd, ängstlich, einfallslos und mißtrauisch“...“Die Kirchenleitungen zeigen sich weitgehend ängstlich besorgt um Positionen und Prestige einer der Vergangenheit verhafteten Erscheinungsgestalt der Kirche, zu wenig informiert und zu wenig verständnisbereit.“
Die Grundsatz-Erklärung wurde „federführend“ von Langos zusammengestellt und auf der konstituierenden Vollversammlung am 04.04.1970 erläutert und zur Verabschiedung gebracht[21].
Irgendwann war mir mehr oder weniger zufällig aufgefallen, dass die Trias mit den Grundforderungen von Demokratisierung, Humanisierung, Interpretation des Glaubens, und damit der ganze erste und zweite Abschnitt wörtlich der bereits erwähnten Dokumentation der AGP entnommen war, ohne dass dies im Protokoll über die konstituierende Vollversammlung oder nach meiner Erinnerung und nach den mir zugänglichen Unterlagen auch nur mündlich erwähnt wurde. Vorher war aber bereits unter dem 27.03.1970 (Karfreitag) ein langer Auszug von 15 Schreibmaschinenseiten dieser Dokumentation über die europäischen Priestergruppen mit den oben genannten Formulierungen als Rundschreiben[22] verschickt worden.
Da mich der vollständige Text der Dokumentation interessierte, der aber nicht mal über die Bibliothek von Claus Herold zu finden war, habe ich schließlich und endlich vor relativ kurzer Zeit das gesuchte Buch von Raske, Schäfer und Wetzel über die Fernleihe – ausgerechnet aus der Bibliothek des Priesterseminars Münster - erhalten und lesen können.
Bei genauerem Lesen und gezieltem Vergleichen war festzustellen, dass auch der übrige Text unserer Grundsatz-Erklärung überwiegend (ca. 85%) aus der westdeutschen Dokumentation übernommnen war[23], ohne ordnungsgemäße Zitierung.
Die Begründung dafür legt sich schnell nahe, wenn man die wenigen Auslassungen bzw. Änderungen in der Grundsatz.-Erklärung des AKH analysiert und dabei die allgemeine politische und strafrechtliche Situation in der DDR berücksichtigt. Post festum kann man erleichtert feststellen, dass eine exakte Zitierung der Quellen dem MfS zusätzliche strafrechtlich relevante Argumente geliefert hätte. Denn die STASI hatte unter dem 22.6.70 sowieso schon einen Maßnahmeplan „gegen (die) aktiv feindliche Gruppe AKH“ und unter dem 5.8.1970 bereits den MfS-Eröffnungsbericht OV „Tabernakel“ wegen des Verdachts „einer feindlichen Tätigkeit gegen die DDR gemäß §§ 100 StGB (staatsfeindliche Verbindungen), 106 StGB (staatsfeindliche Hetze), 107 StGB (staatsfeindliche Gruppenbildung)“ zusammengestellt.[24]
Der AKH musste sich aber nicht nur viele Jahre gegen die Zersetzungsarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wehren. Er musste sich auch gegen innerkirchliche Disziplinierungs- und Auflösungsversuche behaupten.
Es bildete sich schließlich 1984/85 eine „unheilige Allianz“ zwischen einzelnen kirchenleitenden Stellen in Magdeburg, Halle und Berlin einerseits sowie staatlichen Sicherheitsorganen andererseits, um den für beide Seiten missliebigen und kritischen AKH zum Schweigen zu bringen.
Von dieser eigenartigen Kollaboration war bei der Entstehung des AKH im Jahre 1970 und bei der Formulierung der Grundsatzerklärung noch nichts zu ahnen.
Aber ein Eintreten „für öffentliche Bewußtseins- und Willensbildung, Freiheit der Meinungsäußerung, ungehinderten Informationsfluß, Durchsichtigkeit der Verwaltungsvorgänge ...“ am Ende der Grundsatzerklärung war für die DDR-Situation vorsorglich auf den innerkirchlichen Raum beschränkt worden, während dafür in der Vorlage ein Bezug „im Hinblick auf unsere Gesellschaft“ formuliert war.
Es entsprach also berechtigter politischer Vorsicht und Klugheit, in AKH-Dokumenten die Verbindung zu den bundesdeutschen Solidaritäts- und Priestergruppen und die Nähe zu ihren Programmen nicht unnötig zu betonen. Deshalb ist offensichtlich auch gar nicht erst der Versuch gemacht worden, das Grundsatzprogramm der AGP, die „Basiserklärung“ vom 26./27.05. 1969[25], oder die Gründungserklärung einer einzelnen Solidaritätsgruppe in toto zu übernehmen.
Andererseits wurden die Verbindungen in den Rundschreiben und auf den Vollversammlungen auch nicht verschwiegen. So habe ich zufällig in einer persönlichen Mitschrift über die 1. Vollversammlung am 14.03.70 Notizen[26] über einen Bericht von Brockhoff wiedergefunden, wo er über ein „Treffen mit Vertretern d. Freckenhorster Kreises ( Joh. Werners)“ berichtet. Brockhoff und Werners kannten sich gut als (ehemalige) Studentenpfarrer über relativ regelmäßige Kontakte. In meinen Notizen stehen noch zwei interessante Punkte, offensichtlich in Bezug auf Solidaritätsgruppen: „Ziel: Wohl d. Gesamtkirche“ und „Legitimer Akt der Kirche“.
Mit dem letzten Stichwort sollte die Diskussion um die innerkirchliche Legitimität von Solidaritätsgruppen angedeutet werden.
Kein Geringerer als der große Theologe Karl Rahner nimmt dazu wie folgt Stellung[27] :
„....Wichtig aber in diesem Zusammenhang ist die schon kurz gemachte Feststellung, dass die Bildung einer solchen formellen Gruppe von unten her, also unabhängig von einer vorgängigen Autorisation des Amts, durchaus grundsätzlich legitim ist und nicht von vornherein einer schismatischen Tendenz verdächtigt werden kann, bloß deshalb, weil sie nicht vom Amt her gebildet und nicht von vornherein in ihrem Willen mit dem des Amts positiv konform ist. Zur Begründung dieser Feststellung sei hier nicht einfach auf die Freiheitsrechte des Einzelnen, auf Recht und Pflicht jedes Christen, am Leben der Kirche aktiv mitzuwirken, auf die Notwendigkeit einer öffentlichen Meinung in der Kirche und ähnliche fundamentale Überlegungen hingewiesen ... dann sind solche „Spontan-Gruppen“ von unten her grundsätzlich durchaus legitim, wenn sie auch unter Umständen für die Amtsträger überraschend kommen und unbequem sind.“
Bei dieser theologischen Einordnung und Legitimierung von Solidaritätsgruppen braucht man den gelegentlichen Vorwurf der „Nestbeschmutzung“ eigentlich nicht fürchten, den manchen von einer AKH-Mitarbeit abgehalten, aber auch den einen oder anderen AKH-Mitarbeiter beschwert hat, z.B. Claus Herold, der sich dann mit einem Gedanken des amerikanischen Dichters und Philosophen spanischer Nationalität George Santayana wehrte: „Wer sich an die Vergangenheit nicht erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“
Noch pointierter hat der evangelische Theologe Karl Barth die christliche Abwehr-Theorie von der Nestbeschmutzung beschrieben:
„Eine Kirche, / die aus lauter Angst / nur ja nicht in den Schein zu kommen,
Partei zu ergreifen, nie und nimmer / Partei zu sein sich getraut,
sehe wohl zu, ob sie sich nicht / notwendig kompromittiere:
mit dem Teufel nämlich, / der keinen lieberen Bundesgenossen
kennt als eine um ihren guten Ruf / und sauberen Mantel
ewig schweigende, ewig / meditierende, / ewig neutrale Kirche:
eine Kirche, die allzu bekümmert / um die doch wirklich nicht
so leicht zu bedrohende Transzendenz / des Reiches Gottes
zum stummen Hund geworden ist.“
5. Mit diesem Beitrag sollte nachgewiesen werden, dass die Entstehungsgeschichte des AKH nicht auf den äußeren Anlass des erzwungenen Bischofswechsels in Magdeburg reduziert werden kann.
Die wirklichen Wurzeln des AKH liegen in den „Suchbewegungen des nachkonziliaren Katholizismus“, insbesondere in den Zielvorstellungen der seit Mitte 1968 entstandenen Priester- und Solidaritätsgruppen.
Peter Willms
[1] Großbölting, „Wie ist Christsein heute möglich?“, Suchbewegungen des nachkonziliaren Katholizismus im
Spiegel des Freckenhorster Kreises, 1997.
[2] Vgl. z.B. Lindner, Der „Aktionskreis Halle“ – Opposition in der „entdifferenzierten Gesellschaft“, Magisterar-
beit, 2000, S. 62 ff; Schäfer, Staat und katholische Kirche in der DDR, 1998, S. 264, 277 f..
[3] Vgl. z.B. AKH-Flyer.
[4] Herold, Der
Aktionskreis Halle, S. 24 ff..
[5] Herold (wie Anm. 4) S. 5 ff..
[6] Schülke in Tagungsbericht über das 1. Nienburger Gruppentreffen mit „Nienburger Thesen“ zur „Solidarität
der Gruppe“, 1. Briefsendung, AKH-Archiv . Schäfer (wie Anm. 2), S. 276 f..
[7] Vgl. Grütz, Katholizismus in der DDR-Gesellschaft 1960-1990, 2004, S. 118 f., 147 ff.. Höllen, Loyale Dis-
tanz? Katholizismus und Kirchenpolitik in SBZ und DDR. Ein historischer Überblick in Dokumenten, Bd.
3/1, S. 120 ff.; Thesen Erfurter Gespräch und andere Unterlagen des Erfurter Gesprächskreises in PRIVAT-
SAMMLUNG WILLMS.
[8] Grande-Straube, Die Synode des Bistums Meißen 1969-1971. Die Antwort einer Ortskirche auf das Zweite
Vatikanische Konzil, 2005.
[9] Herold /wie Anm. 4) S. 5 ff..
[10] Herold (wie Anm. 4) S. 5 .
[11] Vorwort zu Herold (wie Anm. 4) S. 3.
[12] SOG-Papiere, Informationsdienst der Arbeitsgemeinschaft von Priester- und Solidaritätsgruppen in Deutsch-
land (AGP), Beilage der Zeitschrift „imprimatur“.
[13] Eine freie Kirche für eine freie Welt. Delegiertenkonferenz europäischer Priestergruppen Rom 10-16. Oktober
1969. Dokumentation. Herausgegeben im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft von Priestergruppen in der BRD
von Michael Raske, Klaus Schäfer, Norbert Wetzel. 1969. S. 21.
[14] Großbölting (wie Anm. 1) S. 79.
[15] Großbölting (wie Anm. 1) S. 78 Fußn. 356.
[16] Tagungsbericht des 1. Nienburger Gruppentreffens am 27.09.1969 im ersten AKH-Rundbrief, AKH-Archiv.
[17] In Anlehnung an eine Formulierung von Wanke in einem veröffentlichten Vortrag über „Der Weg der Kirche in unserem Raum“ – Versuch einer pastoralen Standortbestimmung. Oktober 1981. In: Pilvousek, Kirchliches Leben im totalitären Staat, Dokumentenband Teil II. 1998 S. 237 ff. (238).
[18] Raske, Schäfer, Wetzel (wie Anm. 13).
[19] Einladungsschreiben vom 04.03.1970, AKH-Archiv.
[20] Protokoll über die konstituierende Versammlung am 04. April 1970, AKH-Archiv.
[21] Vgl. Protokoll über die konstituierende Versammlung am 04.04.70, Ziff. 5.1., AKH-Archiv; Protokoll zur
Klausur am 8./9.10.1993, S. 3, AKH-Archiv. Das Protokoll der konstituierenden Versammlung und die „Vor-
läufige Grundsatz-Erklärung“ wurden mit AKH-Rundschreiben vom 24.4.70 (AKH-Archiv) verschickt
(Anlage 1).
[22] AKH-Rundschreiben von Karfreitag 1970 (27.03.70), AKH-Archiv.
[23] Raske, Schäfer, Wetzel (wie Anm. 13), S. 27ff., 42 ff. u. 101 f..
[24] Herold (wie Anm. 4) S. 43 ff..
[25] Raske, Schäfer, Wetzel (wie Anm. 13) S. 41 ff..
[26] Notizen über Vollversammlung am 14.03.1970, PRIVATSAMMLUNG WILLMS.
[27] Karl
Rahner, SCHISMA IN DER KATHOLISCHEN KIRCHE?, Schriften zur Theologie, Bd. IX S. 432 ff.
(446 f.). Erstveröffentlichung: Stimmen der Zeit 184 (1969) 20.34.