Die politischen Skandale aus östlicher Sicht
Da sitzen wir in atemloser Gelähmtheit in unseren Fernsehsesseln und starren in die Glotze: Polit-Dauertalk tanzt über die Mattscheibe - und noch ehe wir uns ungläubig die Augen wischen können angesichts der Ungeheuerlichkeiten, die uns von den professionellen Parteidemokraten zugemutet werden, werden uns von denen auch gleich noch die verniedlichenden Interpretationen ihrer Missetaten geliefert: aus Lügen werden Fehler, aus gezielten Vertuschungen Erinnerungslücken, aus Geldwäsche Parteispenden.
In einem Punkt - Gott Lob ? - aber sind sich alle einig: Es geht um unsere Demokratie. Die nämlich ist in Gefahr. Und deshalb - so jedenfalls sehen es die Parteidemokraten - dürfen die Parteien nicht auch noch von außen, von der öffentlichen Meinung z.B., beschädigt werden. Und deshalb müssen wir alle, wenn auch zähneknirschend, irgendwie durch, am besten indem brutalst möglich aufgeklärt wird, und zwar unter Führung derer, die bis zum Hals selbst in diesem Sumpf stecken, allesamt gestandene Demokraten an der Spitze ihrer demokratischen Parteien. Und die Strafen müssen möglichst klein ausfallen, damit der Fortbestand dieser Garanten der Demokratie nicht gefährdet wird. Und die historischen Verdienste der großen Persönlichkeiten dürfen auch nicht beschädigt werden. Das würde an Nestbeschmutzung grenzen. Da bleibt uns nichts mehr zu sagen, da werden wir einfach sprachlos ... gemacht.
Mir kommen Vorwende-Erinnerungen: Wer zu DDR-Zeiten an der Parteilinie zweifelte, war gegen den Frieden ! Wer heute an der demokratischen Verfaßtheit unserer Parteien und/oder ihrer Repräsentanten zweifelt, ist gegen die Demokratie !
Gerade wir Ostdeutschen haben uns in den letzten 10 Jahren unsere Demokratieunfähigkeit zur Genüge um die Ohren schlagen lassen müssen. Angesichts von Spendensümpfen und Flugaffären, gesponserten Hochzeitsfeiern und Politikerwochenenden in aristokratisch-gepflegtem Ambiente bin ich es allerdings müde, mir von Kohl, Koch und / oder Schäuble, von Glogowski, Clement und / oder Rau erklären zu lassen, was Demokratie ist, zumal jeder von ihnen den Eindruck zu erwecken sucht, als ob erst und gerade mit ihm und in ihm und durch ihn Demokratie möglich wird - brutalst möglich, und daß man angesichts solcher Fähigkeiten und Verdienste vom Wahlvolk gefälligst Amnestie und Amnesie erwarten kann.
Gerade weil wir Ostdeutschen eben nicht mit dieser verkorksten Parteiendemokratie bundesrepublikanischer Prägung, mit dieser unsäglichen Mischung aus demokratisch-verbrämter Vetternwirtschaft, Filz, schwarzen Kassen, Steuerhinterziehung, Vorteilsnahme, Selbstgerechtigkeit, Geld- und Machtgeilheit groß geworden sind, weil wir in einer Diktatur aufwuchsen, in der all diese Unarten und natürlich Schlimmeres selbstverständlich waren, hatten wir jene naive Illusion von Freiheit und Demokratie, die uns im Herbst 1989 auf die Straße getrieben hat. Wir haben sehr schnell begreifen müssen, daß das, was mit dem Anschluß Ostdeutschlands an die Bundesrepublik über uns gekommen ist, mit unseren Illusionen nichts, aber auch gar nichts zu tun hatte. Und dazu bedurfte es nicht erst des Spendenskandals der CDU und der Luftnummern von SPD und West-LB.
Die systematische Verramschung des zugegebenermaßen nicht übermäßig wertvollen Industriebestandes auf dem Boden der ehemaligen DDR durch die Treuhand, die klammheimliche Umstellung der Formel "Entschädigung vor Rückgabe" in "Rückgabe vor Entschädigung", die rigorose Umwandlung kollektiver Eigentumsverhältnisse in Privateigentum, der forcierte Austausch der wissenschaftlichen Eliten im Osten durch westdeutsches Personal der zweiten Garnitur, das spurlose Aufgehen aller eigenständigen Verbände, Parteien, Kirchen des Ostens in den jeweils größeren und mithin finanzkräftigeren Strukturen des Westens, (so daß letztendlich die PDS als einzige originär ostdeutsche Einrichtung übriggeblieben ist, in der und um die sich nun - leider - alles sammelt, was die bedingungslose Kapitulation des Ostens vor dem Westen unerträglich findet), die konsequente Verhinderung sozialer und wirtschaftlicher Alternativen zu den bestehenden westdeutschen Verhältnissen ließ bei kritischer Beobachtung des deutsch-deutschen Einigungsprozesses keinen Zweifel daran aufkommen, daß das Geschenk von Freiheit und Demokratie, das der Westen dem Osten - neben der D-Mark - machte, eine Mogelpackung war.
Ist die Demokratie tatsächlich in Gefahr ? Der Ostdeutsche sieht das möglicherweise anders als der Westdeutsche. Er fragt - nach 10 Jahren gesamt-deutschen Wandels - wohl eher: Hat es sie tatsächlich jemals gegeben ? Und kann also in Gefahr geraten, was gar nicht so existiert hat, wie es uns dargestellt wurde?
Die deutsche Einheit hat sich über das Medium Geld vollzogen. Und da der Ossi dank der Eigentumsstrukturen in der ehemaligen DDR über dieses Medium nicht bzw. nur in sehr geringem Maße verfügte und sich nach der Wende durch Werbung und Überangebot zum reinen Konsumenten degradieren und also ausnehmen ließ, war es ihm unmöglich, in den Vereinigungsprozeß gestaltend einzugreifen. Er blieb auch hier Konsument. Für Konsum aber muß man zahlen. Da greifen die Gesetze des Marktes. Und also zahlt er: z.B. mit seinem Arbeitsplatz, oder aber, wenn er den behalten darf, mit Lohnabstrichen, oder aber, wenn er sich mental den wirtschaftlichen und sozialen Vorgaben des Kapitalismus brutalst möglich anpassen konnte, zumindest mit dem Verrat an seinen freiheitlich-demokratischen Illusionen, wenn nicht sogar mit dem Verlust seiner Seele.
Übrigens geht es den Parteien ähnlich wie den Ossis: Auch sie haben nie genug Geld für das, was sie vorhaben - und das ist in erster Linie das Erringen bzw. das Festhalten der politischen Macht. Da ist dann jeder willkommen, der ein paar Mark beisteuert zum Kampf um dieselbe, und wenn es schwarzes Geld ist, gibt es schwarze Kassen, in denen es verschwinden und aus denen es wieder auftauchen kann, wenn es denn gebraucht wird, und wenn es sich bei den Spendern um dunkle Ehrenmänner handelt, gibt es ebenso dunkle Ehrenworte, hinter denen sie sich verstecken können. Es ist schon bitter, wenn ein Gemeinwesen, das sich fast ausschließlich über Geld definiert, selbst keines hat und immer mehr in die Abhängigkeit derer gerät, die darüber verfügen. Nun wird jeder Politiker den Vorwurf weit von sich weisen, er habe sich in seinen politischen Entscheidungen durch Spenden beeinflussen lassen. Er tut dies mit der gleichen Scheinheiligkeit, mit der er die Entgegennahme heimlicher Spenden bestreitet, bis es sich denn nicht mehr vertuschen läßt.
Dies ist der Vorteil der CDU-Spendenaffäre: es sind wieder ein paar Menschen weniger geworden, die einem Politiker das, was er sagt, unbesehen glauben.
Und da sind wir denn endlich wieder bei der Demokratie. Genau dies steht an: Wir müssen uns endlich aus unseren Fernsehsesseln hochstemmen, die Glotze ausknipsen, die Ärmel hochkrempeln und zupacken - aber nicht nach dem Grundsatz, daß jeder seines eigenen Glückes Schmied ist ( - daß der Ostler dazu nicht bereit und/oder in der Lage sei, ist schließlich auch ein bekannter Vorwurf des Westens - ), sondern nach dem Grundsatz, daß uns alle alles angeht und daß eine Demokratie immer nur das wert ist, was die Bürgergesellschaft daraus macht. Die Demokratie ist z.Z. nicht mehr in Gefahr, als sie es immer ist, wenn sich jeder nur um "Seins" , sei es nun sein Geld, seine Karriere, seine Partei, seine Kirche, seine Familie, kümmert.
Aufgeschreckt haben uns die Skandale der letzten Wochen schon. Wir sollten aber die Tatsache, daß lange schon und von vielen praktizierte Verstöße gegen demokratische Grundprinzipien nun endlich mal ans Tageslicht gekommen sind, nicht überbewerten. Das ist eher gut und hilfreich und sollte uns nicht lähmen. Es sollte uns vielmehr ermuntern, uns die Freiheit zu nehmen, um wirklich ernst mit der Demokratie zu machen. Wobei wir eines allerdings nicht vergessen dürfen: Anfangen müssen wir auch und zuerst bei uns selber.
Harms-Uwe Günther, AKH