Leipzig, im August 2017

Liebe Freunde und Freundinnen des Aktionskreises Halle,

diese heißen Sommertage zwischen Schauern, Gewittern, Sonne und Wolken lassen uns ein verlässliches Azorenhoch herbeisehnen. Aber das scheint vorläufig nicht in Sicht. Und ebenso turbulent wie beim diesjährigen Sommerwetter geht es in der Institution Kirche zu.
Da wird der Finanzchef des Vatikans, Kardinal Pell, beurlaubt und in seine Heimat geschickt, damit er sich dort vor einem Gericht verantworten kann. Keine schützende Hand hält ihn in Rom.
Da wird die Amtszeit des Kardinals Müller nach 5 Jahren als oberster Chef der Glaubenskongregation (in der er gestreng für die Reinerhaltung des Glaubens zuständig war) ziemlich abrupt beendet.
Da muss sich verabschiedet werden vom streitbaren Kardinal Meisner, der – wie Peter Willms in seinem Nachruf formulierte – zu den Anhängern einer „unheiligen Allianz“ gegen den AKH in gefährlichen Zeiten gehörte.
Einen ganz anders gearteten Nachruf hörte man beim Requiem für den Kardinal im Dom zu Köln. Das Grußwort vom „emeritierten Papst“ Ratzinger an seinen verstorbenen Freund, welches sein Privatsekretär Gänswein verlas, war eine wohlkalkulierte Grabrede. Neben der Würdigung des Verstorbenen war eine deutliche Kritik am Zustand der Kirche herauszuhören, die mit einem fast schon untergehenden Boot verglichen wurde und deshalb dringend überzeugende Hirten braucht.
Ging das vorgelesene Grußwort tadelnd an die Adresse von Papst Franziskus, zugleich mit der Mahnung, Ratzingers Erbe nicht zu verraten? Dann war es stillos und ein Kirchenpolitikum!
Denn den Titel „Papst emeritus“ hat Kardinal Ratzinger für sich erfunden. Offiziell gibt es ihn nicht, obwohl Gänswein an der Gregoriana schon verlauten ließ, dass es zwei Päpste gebe, einen aktiven und einen kontemplativen, betenden Papst. Die gemeinsame Sorge, dass dem sog. „Zeitgeist“ in der Kirche Tür und Tor geöffnet werde, verband Josef Ratzinger mit Joachim Meisner, und wohl auch mit der versammelten Trauergemeinde im Dom, die der Vorlesung applaudierte.

Was diese alten, - nach eigenem Bekunden - die Kirche kompromisslos liebenden Würdenträger unter dem Begriff „Zeitgeist“ fürchten, das sehen andere, die sich neben der Liebe zur Kirche auch ihres Verstandes bedienen, als theologische Herausforderung, der man sich stellen muss, wenn man den Glauben auch heute noch am Leben halten will. In der Zeitschrift „Imprimatur“ hat sich Karl-Heinz Ohlig unter „Theologische Herausforderungen. Was auf die Kirche zukommt“ besonders des Themas „Trinitätslehre“ angenommen und herausgearbeitet welche kulturhistorischen Denkverständnisse zu dieser Lehre geführt haben. Sie finden eine gekürzte Fassung davon im Rundbrief. Wer sich ausführlich informieren will: K-H Ohlig: Haben wir 3 Götter? Vom Vater Jesu zum „Mysterium“ der Dreifaltigkeit (topos-Taschenbücher, Bd. 866) Verlagsgemeinschaft topos plus, Lahn Verlag 2014.

Inzwischen sind auch schon wieder 4 Monate seit unserer Frühjahrstagung vergangen. Mit Prof. Hilberath und Dr. Abdallah, beide ein bewährtes Team im interreligiösen Dialog, erlebten wir „Christlich-Islamische Begegnung statt zerstörende Sprachlosigkeit“.

Dankenswerterweise hat uns Prof. Hilberath einen Bericht über den Ablauf der Tagung zukommen lassen. Auch ihn finden Sie im Rundbrief.
Trotz Informationen und Verständnishilfen auf der Tagung spürte man letztlich eine gewisse Ratlosigkeit unter den Teilnehmern; wie soll eine Überwindung von Sprachlosigkeit gelingen zwischen weniger aufgeschlossenen, einfach gläubigen Muslimen? Denn die von Dr. Abdallah betriebene Koranexegese hat sich durchaus noch nicht in der islamischen Welt durchgesetzt, ja, sie gilt vielen als abwegig.
Die Ambilvalenz in der Beurteilung des Islam wird besonders in 2 Stellungnahmen deutlich, die sich mit dem Buch „Inside Islam“ von Constantin Schreiber (was in deutschen Moscheen gepredigt wird) beschäftigt.
Die erste war im Pax Christ Rundbrief 2017 zu lesen. Christian Wilhelm fragt sich, was in den Moscheen passiert, wenn die Imame (die kaum Deutsch sprechen) extrem, unverständlich, komplex, fremdartige und krude Texte predigen, ohne Bezug zur Moderne oder der Lebenswelt in Deutschland. Er vermisst selbstkritische und historisch kritische Reflexionen, Nachdenken über Gewalt und die Bereitschaft, zu diskutieren. Trotzdem werden die Moscheen besucht.
Christian Wilhelm fragt, inwiefern solche Predigten zu einem interreligiösen Dialog befähigen. Und zwar nicht zu einem Dialog zwischen Fachtheologen, sondern zwischen einfachen Menschen unterschiedlichen Glaubens.
Und wo man in einer komplexen Welt, in der nahezu alles in Frage steht, nicht mehr miteinander über Glaubensfragen sprechen, sondern nur formelhaft bekennen kann, beginnt die Gleichgültigkeit oder die Aggression.
In der zweiten Stellungnahme im Ikvu-Querblick- Heft 34 kritisiert Sebastian Dittrich die Auswahl der Moscheen (13 von weit über 2700), die Länge der 13 angeführten Predigten, und er bezweifelt angesichts der Länge dieser Predigten, dass diese für die Gläubigen überhaupt so eine große Bedeutung haben. Es gäbe genügend Gründe, die Wirkung der Predigten zu relativieren, ganz gleich, was die Imame damit bezwecken.
Es wäre natürlich bedauerlich, dass kaum einer der Imame für ein Gespräch mit dem Autor zur Verfügung stand. Die aggressive Gesprächsverweigerung und offenes Misstrauen erscheinen im Nachhinein aber schon berechtigt, wenn der Grundsatz gilt: Im Zweifel gegen den Angeklagten. Sebastian Dittrich meint, die Bedeutung mancher Moscheen als wichtige Anlaufstellen in ihren Stadtvierteln würde überschätzt, und er fürchtet, dass Rechtsextreme und vermeintliche Islam „Kritiker“ sich bei Schreiber all jener Versatzstücke bedienen, die sie für ihre islamophobe Agenda gut brauchen können. Insofern gebe es nach seiner Meinung an derlei Machwerken leider schon genug.
Das Problem: Wer hat Gelegenheit und nutzt sie auch, sich mit Muslimen über den Glauben auszutauschen??
Das angekündigte gemeinsam herausgegebene Buch von Hilberath und Abdallah „Theologie des Zusammenlebens, Christen und Muslime beginnen einen Weg“ ist jetzt erschienen und kann unter der ISBN 978-3-7867-4010-0 für 26,00 € bestellt werden.

Auch der Kirchentag auf dem Weg zum Reformationsjubiläum ist inzwischen Geschichte, und ist genug kritisiert worden wegen des schlecht angenommenen Überangebots von Veranstaltungen (sehr unterschiedlich in den verschiedenen Kirchentagsorten).
Erwähnenswert wäre ein sog. „Magdeburger Friedensmanifest 2017“ zum Kirchentag, dass sich als Diskussionspapier versteht. Insbesondere die These 3 zum Verhältnis von Kirche und Militär ist diskussionswürdig, weil die Aufforderung, sich als Christ grundsätzlich vom Militär- und Rüstungsdienst fernzuhalten, in eine sektiererische Sackgasse führen würde. Als Mahnung an alle Menschen, sich nach gewissenhafter Überlegung in eigener Verantwortung zu entscheiden, wäre das zu akzeptieren. Kontaktadresse: Stefan.Maass@ekiba.de

Aufmerksam machen möchten wir auch auf die Auseinandersetzungen, die es um die geplanten baulichen Veränderungen der Berliner Hedwigskathedrale gibt.
Die Wünsche der beiden letzten Berliner Oberhirten – beide aus dem Erzbistum Köln kommend – gehen dahin, die Hedwigskathedrale nach ihren herkömmlich großkirchlichen und repräsentativen Vorstellungen dergestalt umzubauen, dass der Zugang zur Unterkirche geschlossen und verlegt wird. Der Umbau wird nicht liturgisch, sondern funktional begründet, und man rechnet bei der erheblich hohen Finanzierung mit dem Geld der Steuerzahler.

Denkmalpflege und die „Freunde der Hedwigskathedrale“ argumentieren dagegen, dass die als Gesamtkunstwerk konzipierte (übrigens in den frühen 60er Jahren von einem Kölner Architekten!) miteinander verbundene Ober- und Unterkirche in einem besonderen Verhältnis zur Berliner Geschichte steht. Sie ist eine herausragende Raumschöpfung der Zeit des Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg – auch im Gedenken des Widerstands gegen den Hitlerstaat. Es wurde hier eine ungewöhnliche Komplexität architektonischer, kunst-, kirchen-, und liturgiehistorischer Ideen verwirklicht.
Eine behutsame Restaurierung mit einem angemessenen Etat wäre angebracht.
Interessant ist übrigens eine von der Denkmalpflege Berlin (Dr.Sabine Schulte) herausgegebene Broschüre, die sich dem Programm der Architektur verpflichtet sieht: „Kreis, Kreuz und Kosmos“, die das Gesamtkunstwerk Hedwigskathedrale anschaulich macht.
Diese Broschüre ist andeutungsvoll mit folgender Widmung versehen: „Dies Buch gehört dem Erzbischof“, adäquat der Formulierung einer sozialkritischen Schrift Bettina von Arnims, die sie ihrem damaligen König Friedrich Wilhelm IV. mit der Widmung „Dies Buch gehört dem König“ zu lesen empfahl.
Ob es der Erzbischof liest? Wer sich näher informieren will kann das unter: www.freundehedwigskathedrale. de.

Wir möchten auch noch auf ein schmales Buch aufmerksam machen. Peter Stosiek hat aus Geschichte und Geschichten aus seiner Kindheit und unser aller DDR-Zeit ein lesenswertes Büchlein mit dem Titel „Tollwut“ geschrieben. Es eignet sich hervorragend zum Selberlesen und auch zum Verschenken: Stosiek / Tollwut / Radius-Verlag / ISBN 978-3-871-345-1.

Und zum Schluss möchten wir nicht versäumen, auf unsere Frühjahrstagung 2018 hinzuweisen. Sie findet vom 13.4. bis zum 15.4. 2018 auf der Huysburg statt. Wir haben uns für die Thematik entschieden, die auf der letzten Tagung die meiste Zustimmung fand: Die Gesellschaftskritik in „Laudati si“ und die damit verbundene „Theologie der Befreiung – Religion der Befreiung“.
Norbert Arntz, der im Frühjahr in Columbien sein wird, hat uns Dr. Michael Ramminger vom Institut für Theologie und Politik wärmstens als Referenten empfohlen, und Dr. Ramminger hat uns auch erfreulicherweise seine Zusage gegeben.
Schreiben Sie den Termin in Ihren Kalender!

Auch im Namen des Sprecherkreises wünsche ich Ihnen allen eine erholsame Sommerzeit – mit freundlichen Grüßen
Monika Doberschütz

Karl-Heinz Ohlig / Theologische Herausforderungen/ Was auf die Kirche zukommt

Alle großen Religionen sind in Zeiten mythischen Verstehens entstanden.
Nach der Aufklärung, deren kritischen Analysen und auch der gesellschaftlichen Emanzipation von der religiösen Dominanz sind die traditionellen normativen Vorgaben in die Krise geraten. Die Aufklärung ist nicht überall „angekommen“. Auch in westlichen Gesellschaften gibt es noch „voraufgeklärte“ Bevölkerungen und Bevölkerungsteile, erst recht in der islamischen Welt, im Hinduismus und Buddhismus.
Hierzulande ist dieser Prozess am Weitesten fortgeschritten und bewirkt eine weitgehend innere und äußere Distanzierung von den Kirchen. Es ist eine drängende Aufgabe, auf diese Herausforderung zu reagieren. Dabei geht es nicht darum, die alten Dogmen einem wie auch immer gearteten „Zeitgeist“ anzupassen. Vielmehr müssen sie mit den Methoden der historischen Vernunft analysiert und ihre Aussagen erarbeitet werden.
Beginnen sollte man vor allem mit drei zentralen dogmatisierten Lehren, die nicht nur heute für viele Christen nicht oder nur schwer zu rezipieren sind, sondern auch die Effektivität der Verkündigung belasten.
Gemeint ist einmal die Gottesfrage (Trinitätslehre), dann die Zwei-Naturen-Christologie und schließlich die Erbsündenlehre inklusive der auf ihr basierenden Rechtfertigungslehre.

Hierzu einige fragmentarische Gedanken zur Gottesfrage (Trinitätslehre).
Historisch gewiss ist, dass Jesus Gott als „Vater“ ansprach, was im Frühjudentum keinesfalls unüblich war (Jesus sah sich nicht als „Sohn Gottes“).
Bis zu den Synoptikern, bis in die ersten 90 Jahre des ersten Jahrhunderts, verehrten die Christen den unitarischen Gott, was sich erst nach dem Einbruch hellenistischen Denkens änderte.
Die johanneischen Schriften und die deuteropaulinischen Briefe vertraten für Jesus eine göttliche Präexistenz und eine Schöpfungstätigkeit des Sohnes, bzw. des Wortes. Somit wurde Jesus der inkarnierte Gott. Die Auswirkungen auf die Gottesvorstellung wurden zwar noch nicht reflektiert, aber man könnte hier Ansätze zu einer Binitätslehre feststellen.
Eine Trinitätslehre findet sich im Neuen Testament nicht.
Im zweiten Jahrhundert gibt es zwar noch ein Fortleben des ursprünglichen christlichen Glaubens an den unitarischen Gott, aber in der sich bildenden Kirche im Römischen Reich setzten sich die hellenistischen Gottesvorstellungen durch.
Gott wurde, vereinfacht gesagt als ein „unbewegter Beweger“, ohne jegliche Möglichkeit zu einer Aktivität gedacht; und deshalb konnte er nicht unmittelbar in der Schöpfung tätig geworden sein. Aber aus ihm gingen, in passiver Verursachung, mindere göttliche Hypostasen hervor, wie z.B. der „Logos“(und der Geist), die dann als „Hände Gottes“ das Werk der Schöpfung bewirkt haben. Wichtig wurde vor allem der göttliche Logos durch den Prolog des Johannesevangeliums.
Auf diese Weise konnte dann an dem einen und unveränderlichen Gott festgehalten werden. Die christlichen Apologeten des 2. Jahrhunderts setzten dann entsprechend dem Prolog des Johannesevangeliums das Wort mit Jesus Christus gleich, der dann als „Sohn“ nicht nur Schöpfungsmittler war, sondern auch die Erlösung bewirkt hat.
Gott ist also von Ewigkeit her einer. Erst zum Zweck der Weltschöpfung trat aus ihm eine Hypostase minderer Göttlichkeit hervor, so dass es neben Gott schlechthin noch einen zweiten (minderen) Gott gab – eine heilsgeschichtliche Binitätslehre. Nur am Rande ist auch von einem Geist die Rede.
Diese Konzeption war bis ins dritte Jahrhundert gemeinsame christlich-hellenistische Überzeugung.
Der nächste große Einschnitt geht auf den Einfluss des Origenes von Alexandrien zurück, der der Meinung war, dass dem Logos und Geist nur wahre Göttlichkeit zukomme, wenn es sie nicht nur seit dem „Anfang“, sondern schon immer in Gott gegeben hat. Er stellte also als verbindliche These auf, dass Gott in sich trinitarisch ist.
Das Konzil von Nizäa korrigierte Origenes, indem es dem „Sohn“ eine umfassende Göttlichkeit zusprach, ohne den Geist extra zu erwähnen.
Und am Ende des 4. Jahrhunderts wurde auch dem Geist, der bis dahin für eine geschöpfliche Größe gehalten wurde, von den sog. Kappadokiern, deren wichtigster Basilius von Cäsarea war, Göttlichkeit zugesprochen.
Um trotzdem am ererbten christlichen Monotheismus festhalten zu können, formulierten sie, dass es in Gott eine (einzige) Wesenheit gebe, aber drei Hypostasen (Vater, Sohn und Geist). Damit war die trinitarische Dogmenentwicklung im Osten abgeschlossen, bis heute.

Der lateinische Westen, der mit dem Begriff Hypostase nichts anfangen konnte, griff auf einen im 3. Jahrhundert formulierten und seitdem nicht mehr gebrauchten Begriff zur Benennung der Dreiheit in Gott zurück: „In Gott und seinem einen Wesen gibt es drei Personen“ (so Augustinus), was auch immer das bei Gott heißen kann.
So erweist sich die Trinitätslehre als kulturbedingtes Konstrukt, dessen kulturelle Notwendigkeiten heute entfallen sind.
Es wäre notwendig und sinnvoll, die Trinitätslehre als ein in der Vergangenheit notwendiges Konzept zu begreifen, das aber heute nicht mehr normativ sein kann. Das reden von dem einen Gott und Jesus, der sich ihm verbunden fühlte, könnte wieder einfacher werden.
Eine fundamentale Diskussion über die Gottesfrage sollte nicht mit dem zusätzlichen Problem der Vermittlung eines spätantiken theologischen Modells, der Trinität, belastet werden.
Gekürzte Fassung / Doberschütz

Christlich – Islamische Begegnung statt Sprachlosigkeit.

Tagung des „Aktionskreis Halle“ auf der Huysburg vom 7. bis 9. April 2017 mit 50 angemeldeten Teilnehmern. Wir sind dem Kreiskirchenamt Halle und der EKM Landeskirche sehr dankbar für den großzügigen Beitrag zu den Tagungskosten.
Vorurteile lassen sich nur überwinden, wenn Menschen sich konkret begegnen. Ohne die Anderen zu kennen, ohne sie im Kontakt zu erleben und von ihnen zu erfahren, lassen sich Vorurteile, in der Distanz gewonnene Einschätzungen, nicht überprüfen und gegebenenfalls korrigieren. Dies gilt gegenwärtig vor allem für die Begegnung von Christen und Muslimen. So stellte der AKH seine diesjährige Wochenendtagung unter das Thema „Christlich-Islamische Begegnung statt zerstörende Sprachlosigkeit. Wie könnte das gehen?“ Anregungen erhofften sich und erhielten in vielfältiger Weise die Teilnehmenden – unter ihnen als Gäste drei syrische Flüchtende – von den beiden Referenten aus Tübingen: Dr. Mahmoud Abdallah (Zentrum für Islamische Theologie) und Prof. Bernd Jochen Hilberath (Institut für Ökumenische und Interreligiöse Forschung). Beide arbeiten seit Jahren intensiv an der Universität und vor allem vor Ort zusammen.
Der erste Abend war dem Austausch der Erfahrungen gewidmet: Wo und wie erlebe ich Muslime? Was ist mir befremdlich? Was beeindruckt mich? Welche Fragen möchte ich am nächsten Tag mit den Referenten diskutieren, wo helfen mir einschlägige Informationen?
Die beiden Referenten sammelten und strukturierten die Problemanzeigen und Informationswünsche. Es bestätigte sich, dass das Thema Religion und Gewalt, speziell Islam und Gewalt von allgemeinem Interesse ist, so dass der erste Teil des folgenden Tages an diesem Thema gearbeitet wurde. B.J. Hilberath gab eine orientierende Einführung in den Problemkomplex Religion und Gewalt. Wichtig war ihm die Unterscheidung (nicht die Trennung!) von Religiosität und Religion. Beide sind ambivalent, d.h. religiöse Menschen wie ihre Institutionen können sowohl zur gewalttätigen Auseinandersetzung wir zur Versöhnung und zum Frieden beitragen. Es gibt also eine Funktionalisierung der Religion im Interesse der exklusiven Sicherung der eigenen Identität oder der eigenen Machtposition. Religion ist nicht per se, auch nicht die monotheistische, eine, die zur Gewalt neigt oder anleitet. Aber Religion kann auch Momente der strukturellen Sünde zeitigen, die durch Menschen verursacht wurden und nur durch Menschen überwunden werden können. Interessant war für die Teilnehmenden auch die Information, dass empirische Studien ergaben: eine Neigung religiöser Menschen zu Vorurteilen ist nicht nur in radikalisierenden Milieus, sondern auch mitten in der „Durchschnittsgesellschaft“ anzutreffen. Zuletzt betonte Hilberath die wichtige Unterscheidung zwischen Offenbarung und Glauben: Gottes Wort begegnet uns nur im Menschenwort, entsprechend dem Erfahrungshorizont und den Bildern und Begriffen menschlicher Sprache.
Daraus ergeben sich die bekannten Auslegungsprobleme bei der Bibel wie vor allem dem Koran. M. Abdallah vermittelte ein differenziertes Bild der islamischen Koranexegese. Die von ihm betriebene kontextuelle Auslegung muss sich aufs Ganze gesehen in der islamischen Welt noch durchsetzen, obwohl sie in der islamischen Geschichte bereits eine Tradition hat. Der Referent illustrierte diese Methode an Hand einschlägiger Suren. Mit Hilfe der Powerpoint-Präsentation konnten die Teilnehmenden die reichen Textbeispiele gut mitvollziehen und auf ihre Fragen und Positionen beziehen. Von seinem Ursprung her ist der Islam eine Religion der Versöhnung und des Friedens. Andersgläubige, besonders die „Leute der Schrift“ (Juden und Christen) wurden in der Regel geduldet, ja anerkannt. Zu kriegerischen Mitteln griffen Muslime dann, wenn sie selbst angegriffen wurden – leider auch bei den Kämpfen um die legitime Nachfolge des Propheten. In jedem Fall ist bei der Auslegung des Koran und der Überlieferung des Propheten der geschichtliche Kontext zu beachten.
Um die Auslegung des Koran und die Diskrepanz zwischen theologischem Befund und der alltäglichen Realität ging es auch bei den Themen Religion-Politik-Staat und Frau-Mann (Genderfrage). Diese Problemkreise hatten sich am Abend herauskristallisiert und wurden nun in der Form eines „Lehrhauses“ behandelt: die beiden Referenten diskutierten in einem Innenkreis, der freie Stühle aufwies, die dann vom Außenkreis her besetzt werden konnten, um Fragen zu stellen und Gegenpositionen zu beziehen. Wie ein roter Faden zog sich durch die Tagung die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Kultur: Was ist religiös begründet, was ist auf die kulturelle Prägung zurückzuführen? Was bedeutet es, wenn der heutige Kontext wesentlich von dem historischen zu unterscheiden ist? In vielen Fällen konnten die Referenten auf parallele, wenn auch zeitversetzte Probleme und Prozesse aufmerksam machen.
Am Ende hatten die Teilnehmenden viele Informationen und Verständnishilfen erfahren. Doch auch Sorgen blieben angesichts der Spannung zwischen Theologie und Praxis und eine gewisse Ratlosigkeit angesichts dieser Spannung bzw. Diskrepanz.
Es blieb das Gefühl, dass sich auch in der islamischen Welt ein neues Schrift- und Toleranzbewußtsein durchsetzen müsste, damit eine Verständigung zwischen den Kulturen und Religionen besser gelingt. Allerdings wurde auch selbstkritisch gefragt, was Christen tun müssen, um überzeugender ihren Glauben zu leben und so für gläubige Muslime adäquate Gesprächspartner zu sein.

Hilberath



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